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Medikamentenmangel: Apotheker warnen vor Flohmarkt

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Von: Gerhard Königer, Bea Wiese, Dagmar Oltersdorf, Tobias Dambacher

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Glück gehabt: noch Fiebersaft in der Hausapotheke gefunden.
Glück gehabt: noch Fiebersaft in der Hausapotheke gefunden. Foto: Oliver Giers © Oliver Giers

Der Aufruf des Präsidenten der Bundesärztekammer, sich in der Nachbarschaft mit Medizin auszuhelfen, löst bei Apothekern Kopfschütteln und Wut aus.

Aalen/Ellwangen

Montagmorgen in einer Aalener Apotheke. Ein Kunde benötigt dringend ein bestimmtes Antibiotikum. Doch die verordnete Menge ist nicht vorrätig. Lieferzeit: ein Tag. Daneben bittet ein anderer Kunde um den selbst gemachten Hustensaft der Apotheke. „Wegen Rohstoffmangels können wir den aktuell leider nicht anbieten“, sagt die Apothekerin. Die aktuelle Medikamentenmangellage? Sie nickt. 

Apotheker Richard Paul Krombholz von der Adlerapotheke in Ellwangen hält die Mangellage bei Medikamenten aktuell durchaus für dramatisch. Aber noch seien die Apotheken in der Lage, Patienten in großer Not zu helfen. In der Adler-Apotheke stelle man Fiebersaft und Fieberzäpfchen selbst her. Die Ausgangsstoffe für Schmerzmittel wie Ibuprofen oder Paracetamol seien vorhanden.

Hamsterkäufe vergrößern die Not

Wichtig sei allerdings, dass in der aktuellen Lage niemand versuche, selbst Depots anzulegen. Krombholz: „Der aktuelle Lieferengpass bei einigen Mitteln ist auch durch Hamsterkäufe entstanden. Die Leute wollen gleich fünf Flaschen Fiebersaft mitnehmen. Das Problem verschärft sich über Social Media.“ Als Beispiel nennt er das Durchfallmedikament Elotrans, ein Elektrolyt, das den ganzen Sommer über nicht lieferbar war, nachdem es einige Influencer als Katermittel propagiert hatten.

Die Krise sei wohl auch entstanden, weil in den zwei Jahren der Pandemie die Menschen aufgrund der Isolation und Hygienemaßnahmen viel weniger krank waren, so Krombholz.

Die Aalener Apothekerin Karde Igel sieht weitere Gründe für die aktuelle Situation: Hersteller hätten in Coronazeiten die Produktion zurückgefahren oder wegen der Geiz-ist-geil-Mentalität in Deutschland ins Ausland verlagert. Karde Igel: „Eigentlich war über Jahre hinweg abzusehen, dass ein solcher GAU kommt.“ Dazu geselle sich das Phänomen, dass die sonst im Januar übliche Grippewelle und der damit einhergehende große Arzneimittelbedarf diesmal schon im November auftraten.

In der Adler-Apotheke und der Apotheke im Facharztzentrum in Aalen, die sie zusammen mit ihrem Mann Dr. Gerwig Igel betreibt, registrieren sie eine etwa acht Mal so hohe Nachfrage nach entsprechenden Medikamenten wie sonst üblich. Karde Igel: „Notdienste sind der blanke Horror gerade.“

Ähnlich ist die Lage in der Gaia-Apotheke im Kaufland. Es mangele unter anderem an Ibuprofen, Paracetamol und verschiedenen Antibiotika, so Apothekerin Mirjam Schaum. Sie und ihre Kolleginnen improvisieren, wo immer es geht: ersetzen fehlende Medikamente gegen vorhandene gleichwertige, rechnen Wirkstoffmengen um und versuchen den Kunden Alternativen anzubieten.

Keine „Flohmärkte“ für Arznei

Den Aufruf zur Nachbarschaftshilfe mit Medikamenten oder gar zu „Medikamentenflohmärkten“ hält Mirjam Schaum für eine „bodenlose Frechheit“. Bei Medikamenten seien Dosierung, Einnahmevorschriften und Lagerung entscheidend. Der Ellwanger Apotheker Richard Krombholz hält den Aufruf sogar für „gefährlich. Was, wenn Mittel abgelaufen sind, falsch gelagert wurden oder Beipackzettel fehlen? Die Leute würden doch auch kein abgelaufenes Hackfleisch essen.“

Die Lage in den Kliniken

Dass es beim Husten- und Fiebersaft eng wird, das betreffe auch die Klinken Ostalb. „Insbesondere die Kinderkliniken“, so Sprecher Ralf Mergenthaler. Das sei aber erst mal nichts Ungewöhnliches: „Es kommt im Jahresverlauf immer wieder vor, dass durch Unterbrechung von Lieferketten einzelne Medikamente kurzfristig nicht verfügbar sind“, sagt Mergenthaler.

Allerdings bekomme die Patientin und der Patient davon in den allermeisten Fällen nichts mit. Ein „Mangel“ an Medikamenten in den Kliniken heiße nicht, dass jemand ein notwendiges Medikament nicht oder nicht rechtzeitig bekomme.

Allerdings habe der Aufwand, eine Alternative zu besorgen, hinter den Kulissen zugenommen. In aller Regel könnten die Kliniken sich mit alternativen Präparaten mit gleichem Wirkstoff behelfen. Die Beschaffung, vor allem in der jetzigen Situation mit einer Vielzahl an Infektionskrankheiten, bleibe allerdings eine Herausforderung, so Mergenthaler.

Wer unbedingt das Medikament haben will, das auf dem Rezept steht, kann durchaus auch online Pech haben. So ging es einer Patientin, die in einer Internet-Apotheke ihr Originalmedikament noch gelistet sah. Schnell orderte sie die Packung - und alles lief wie am Schnürchen. Allerdings war 24 Stunden später klar - auch diese Apotheke kann das Medikament nicht mehr liefern. Da blieb ihr nichts anderes übrig, als auszuweichen. Aber das funktionierte ohne Probleme. 

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