Die Ausstellung „gesichtslos - Frauen in der Prostitution“ zeigt inszenierte Fotografien über die Lebenswelt von Frauen in der Prostitution. Bei der Eröffnung wurde eine Freierstudie vorgestellt.
Aalen
Mehr als 30 Gäste waren der Einladung des Ostalb-Bündnisses gegen Menschenhandel und (Zwangs-)Prostitution ins Landratsamt des Ostalbkreises gefolgt. Sie trafen sich in der aktuellen Ausstellung „gesichtslos – Frauen in der Prostitution“ und zur anschließenden Präsentation der neuen Freierstudie: Wie ticken Männer, die für Sex bezahlen? Was erleben sie als „Kunden“ im Prostitutionsmilieu? Und würden sie sich durch Strafen von ihrem Tun abhalten lassen?
Die Ausstellung widmet sich einem gesellschaftlichen Tabuthema: Frauen in der Prostitution. Sie basiert auf Erfahrungsberichten. Oft haben die betroffenen Frauen ihre Heimatländer verlassen, um der dortigen Perspektivlosigkeit zu entkommen und in Deutschland ein besseres Leben zu finden. Die Wirklichkeit sieht aber anders aus. Obwohl 2017 das Prostituiertenschutzgesetz in Kraft trat, führen die meisten Frauen ein Leben abseits der sozialen Wahrnehmung. Nur wenigen von ihnen gelingt der Ausstieg.
Sichtbar machen
Die gesellschaftliche Sichtbarmachung und die Anregung eines öffentlichen Diskurses über die oftmals prekären Lebens- und Arbeitswelten von prostituierten Frauen in Deutschland sind Anliegen des Projekts. Grundlage für die Fotos sind Interviews mit Frauen, die in der Prostitution oder ausgestiegen sind. Sie erzählen von ihren Ängsten, ihrem Alltag und ihren Sehnsüchten. Weil die Frauen mit Diskriminierung und Ächtung der Gesellschaft rechnen müssen, wurden bei der fotografischen Gestaltung Masken verwendet, um die Anonymität zu wahren. Der Fotograf Hyp Yerlikaya hat die dargestellten Frauen von 2019 bis 2021 begleitet.
Insgesamt entstanden 1800 Fotos, aus denen 20 Arbeiten im Landratsamt zu sehen sind. Aufnahmen, deren Bildinhalte die Grenzen des Zeigbaren oder Aussprechbaren erreichen, greifen bewusst auf das darstellerische Mittel der Inszenierung zurück. Begleitende Text-Dokumentationen klären über das Thema „Prostitution“ auf, bieten Fakten und Informationen und erzählen die Geschichten der Frauen.
Marietta Hageney, Leiterin der Solwodi-Fachstelle Aalen und der Geschäftsstelle des Ostalbkreis-Bündnisses gegen Menschenhandel und (Zwangs-)Prostitution: „Die allermeisten Bilder zeigen Frauen. Wir sprechen hier viel zu wenig über Männer, über diejenigen, die für Sex bezahlen. Ohne Nachfrage kein Angebot und damit auch kein Sexkauf - so einfach ist das, und doch in Deutschland so schwer umzusetzen.“
Wie ticken Freier?
Die Sozialarbeiterin Kerstin Neuhaus, Augsburg, hat in einem internationalen Forschungsteam um die amerikanische Psychologin Dr. Melissa Farley knapp 100 Freier in Deutschland befragt. Ihr Fazit: Den typischen Freier gebe es nicht. Die Männer seien zwischen 20 und 80 Jahren alt und kommen aus allen gesellschaftlichen Schichten. Über die Hälfte sei verheiratet oder in fester Beziehung. 85 % seien Deutsche, die Frauen in der Prostitution hingegen stammen zu mehr als 90 % aus Südosteuropa. Neuhaus zitiert aus den Interviews: „Sie war gezwungen. Ich konnte es an ihrem Verhalten sehen. Ich hatte trotzdem mit ihr Sex, weil ich dafür bezahlt habe.“ Dass Menschenhandel im Spiel war, beobachteten 55 % der Befragten, 62 % vermuteten es und nur ein Prozent erstattete Anzeige.
Neuhaus erklärt, dass Freier Bescheid wüssten – das hätten die Interviews eindeutig gezeigt. „Ich glaube, dass die Erfahrungen der Frauen, vor allem mit der schlimmen Seite von Männern, so einschneidend sind, dass sie sich in ihrer Psyche festsetzen. Es wird ihre Fähigkeit verändern, eine ganz normale sexuelle Beziehung mit jemandem zu haben. Sie werden durch die Prostitution kaputtgemacht.“
Die Anwesenden diskutierten darüber, was Freier abhalten könnte, und kamen zu dem Ergebnis, dass wir dringender denn je eine Veränderung des Systems Prostitution in Deutschland brauchen – wir brauchen ein System analog den Nordischen Ländern: Sexkaufverbot, Entkriminalisierung der Frauen und Bestrafung der Männer. Weiterhin beinhaltet das „Nordische Modell“ Ausstiegshilfen und Prävention, schon in Kindergarten und Schule. Außerdem scheinen, laut Studie, Sanktionen Wirkung zu haben: 85 Prozent schreckten das Bekanntwerden oder ein Gefängnisaufenthalt ab.
Die Ausstellung ist noch bis Dienstag, 21. März, zu den Öffnungszeiten des Landratsamtes Ostalbkreis in Aalen zu sehen, vom 25. März bis 6. April beim Kunstverein Eislingen und vom 11. bis 26. April in der VHS Schwäbisch Gmünd.