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Warum und wann ein Trauma geheilt werden sollte

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Von: Dagmar Oltersdorf

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Die Schweizer Psychologin Dr. Anna Gamma spricht in Aalen über Traumata.
Die Schweizer Psychologin Dr. Anna Gamma spricht in Aalen über Traumata. © privat

Die Schweizer Psychologin Dr. Anna Gamma ist Gast der Veranstaltungsreihe "Alles Trauma - oder wie?". Wie sie das "kollektive Trauma" erklärt und warum sie großen Respekt vor den Deutschen hat.

Aalen

Haben wir alle ein Trauma? Sind wir alle traumatisiert?  Ein Wort, das noch vor einigen Jahren vor allem in der Fachsprache von Psychologen und Therapeuten vorkam, hat Eingang in die Alltagssprache gefunden. Fast jeder hat es schon mal unbedacht verwendet, wenn es galt, die Folgen eines unangenehmen Erlebnisses zu beschreiben. Nun hat die Vhs Aalen in Zusammenarbeit mit dem Yogaraum Aalen die Veranstaltungsreihe "Alles Trauma - oder wie?" ins Leben gerufen. Sie soll in Workshops und Vorträgen Fragen klären wie: Was ein Trauma mit dem Körper zu tun hat, welche Traumata es gibt?  Am Freitag, 24. März, spricht die Schweizer Psychologin Dr. Anna Gamma bei der Vhs über "kollektives und transgenerationales Trauma". Im Interview vorab erklärt sie, um was es dabei geht. 

Frau Dr. Gamma, was versteht man unter einem kollektiven Trauma?Kollektive Traumata betreffen einen größeren Menschenkörper. Sie finden sich zum Beispiel in Familien, in denen sexueller Missbrauch stattfand. Die Forschung hat gezeigt, dass sich dieser oft über mehrere Generationen hinweg wiederholt, und zwar so lange bis das Trauma in einer Generation geheilt und aufgelöst wird. Kollektive Trauma können auch ein Land treffen, wie beispielsweise Deutschland. Den Versailler Friedensvertrag empfanden viele Deutsche nach dem ersten Weltkrieg als kollektive Demütigung. Aus meiner Sicht folgte zudem in Deutschland nach dem 2. Weltkrieg ein Schuldtrauma.

Wie kann man denn so ein kollektives Trauma erkennen?Ähnlich wie auf der persönlichen Ebene gibt es auch hier klassische Symptome. Die stärksten Symptome sind wohl der gebrochene beziehungsweise verschüttete Zugang zur Kreativität und dem tiefen Wissen um Würde und Einzigartigkeit. Hitler und seine Gefolgsleute haben durch all die Gräueltaten das Potenzial des Kunstschaffens, der Philosophie und Spiritualität in Deutschland gleichsam verschüttet. Das erzeugt verdeckte Aggression in verschiedenen Formen. Eine ähnliche Entwicklung sieht man auch bei anderen Völkern. 

Heißt das, wir Deutschen tragen im Prinzip alle ein Trauma in uns?Bestimmt nicht alle, denn was auf der persönlichen Ebene gilt, ist auch auf der kollektiven Ebene wirkmächtig: dasselbe Ereignis wirkt bei einem Menschen traumatisch, beim anderen nicht. Das kollektive Trauma liegt wie ein schwerer, grauer Mantel über dem Land. Aber ich sehe, dass es in Deutschland schon viel heller geworden ist. Mir ist kein anderes Volk bekannt, dass sich so sehr mit seiner Schuld auseinandergesetzt hat. In Berlin gibt es ein Holocaust-Mahnmal, das in Sichtweite des Reichtages liegt! Ich habe großen Respekt vor den Deutschen, die sich ihrem Trauma gestellt haben. 

Wie kann man denn ein Kollektiv heilen? Das ist schwer vorstellbar ...Es ist eine traurige Tatsache, dass alles, was wir nicht auflösen, wir irgendwie weitergeben. Nun gibt es tatsächlich hoffnungsvolle Projekte, in denen Gruppen mit 150 Menschen und mehr zusammenkommen. Die Sehnsucht vieler Menschen nach Heilung ist ja da. Sie wollen einen Beitrag zum Frieden leisten. Beispielsweise auch unter den Israelis und Palästinensern. Beide Gruppen sind traumatisiert. Die Israelis vom Holocaust, die Palästinenser durch die folgenschwere Gründung des Staates Israel. Heilung ist möglich. Ein erster Schritt ist die urteilsfreie Offenheit sowohl für das Leid als auch die Schuld der anderen.

Viele älteren Menschen können mit dem Begriff des Traumas nichts anfangen. Muss man in jedem Fall mit seinem Trauma befassen?Nein, und nochmals nein. Manches bleibt zugedeckt bis zum Ende des Lebens. Es bleibt letztlich ein Geheimnis, wieviel der einzelne Mensch an Heilungsarbeit leisten „muss“ und kann. Es gibt Menschen, denen ist Ungeheuerliches passiert. Sie bilden keinen Panzer und ihnen gelingt trotz allem Leid ein erfülltes Leben.

Andersherum gefragt: warum ist es wichtig, sich einem Trauma zu stellen?Der Körper speichert alle psychischen Verletzungen. Wenn man das Trauma auflöst, wird der Mensch wieder freier und liebenswürdiger. Es gibt viele Krankheiten, die ihren Ursprung in einem Trauma haben. Wenn man das dann nicht löst, wird man auch nicht gesund. Und Traumata können sich eben auch im Körper eines Volkes speichern. Die Quelle der Heilung liegt in jedem Menschen, jeder Gruppe, jedem Volk.  

Der Vortrag am Freitag, 24. März, 19 Uhr, findet bei der Vhs Aalen und hybrid statt.  Dr. Anna Gamma ist Unternehmerin, Psychologin und Zen-Meisterin. Mehr zu der Veranstaltungsreihe finden Sie online auf der Website www.yogaraumaalen.de

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