Markus Grill: Corona beherrscht meine Arbeit

In Wasseralfingen geboren, heute Enthüllungsjournalist für die ARD in Berlin – ein Interview mit Markus Grill über Risiken, Rückverfolgung, Pflege und Impfen.
Berlin/ Aalen-Wasseralfingen
Seine ersten journalistischen Erfahrungen hat Markus Grill bei der Schülerzeitung "Eintopf" der Karl-Kessler-Realschule gemacht. Viele interessante berufliche Stationen folgten. Seit Monaten informiert der gebürtige Wasseralfinger immer wieder über seine Recherchen rund um das Thema "Corona" im ARD-Programm. SchwäPo-Redakteurin Cordula Weinke hat ihn zu seinen Erkenntnissen befragt.
Im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie sind Sie derzeit häufig in den Medien. Ist dies aktuell das Hauptthema Ihrer journalistischen Arbeit?
Markus Grill: Ja, Corona beherrscht meine Arbeit zur Zeit. Vor allem, wenn eine der berühmten Bund-Länder-Konferenzen stattfindet. Bei der jüngsten zum Beispiel war ich am Tag danach mehrmals live geschaltet, zur ARD-Tagesschau, Tagesschau24, ins ARD-Nachtjournal, zu den NDR-Abendnachrichten um 21.45 Uhr, zum Hörfunk und sogar zur SWR-Sendung "Kaffee oder Tee". Weil wir Korrespondenten in Corona-Zeiten auch unnötige Risiken vermeiden sollen, mache ich die Schalten häufig auch direkt vom Büro oder von zuhause aus, mit Stativ und iPad. Vor Kurzem fiel Zuschauern dabei sogar auf, dass ich zwischen zwei Schalten mal ein Bild ausgetauscht hatte, das hinter mir an der Wand hing. Es war das Foto eines Waldes, hinter einem Haus, in dem wir vor fünf Jahren gewohnt hatten. Meine Frau meinte, häng doch das Winterbild ab und nimm das Frühlingsbild. Das haben dann auf Twitter gleich einige kommentiert.
Was läuft im Umgang mit Covid-19 bei uns gut? Wo ist Korrekturbedarf? Was läuft schief?
Da muss man wirklich verschiedene Phasen unterscheiden. Im Frühjahr 2020 waren die vielen Toten in Norditalien ein heilsamer Schock für uns, das Virus ernst zu nehmen. Der erste Lockdown hatte deshalb einen viel größeren Effekt als der zweite, der dann ab Mitte Dezember kam. Schlecht läuft bei uns, dass man auch nach einem Jahr so viele zentrale Dinge nicht untersucht hat. Am wichtigsten natürlich die Frage, in welchen Situationen das größte Infektionsrisiko besteht. Da wissen wir immer nur Grobes: Also, dass Innenräume gefährlich sind, körperliche Aktivität, lautes Sprechen, Singen, Schreien und so weiter. Aber wir wissen nicht, ob oder wie riskant zum Beispiel ein Museumsbesuch ist im Vergleich zum Einkauf im Supermarkt. Ein Lockdown ist ein vergleichsweise primitives Instrument, weil er undifferenziert ist und man auf Verdacht hin alles, oder zumindest vieles zuschließt. Aber es könnte ja sein, dass zum Beispiel ein Museumsbesuch oder Fußballspielen von Kindern im Freien gar keinen Effekt auf das Infektionsgeschehen hat. Das wüsste man halt gern, und dass diese Dinge nicht untersucht wurden in Deutschland, obwohl man das ohne Riesenaufwand untersuchen könnte, halte ich schon für eine sträfliche Ignoranz. Ansonsten hat man bei vielen Themen, die schleppend anlaufen, wie die genetische Überwachung des Virus, das Impfen oder jetzt die Schnelltests, den Eindruck, dass im Gesundheitsministerium einfach zu wenig vorausgedacht wird, und immer nur schnell-schnell reagiert wird ohne gute Planung. Ich meine, wenn ich im Dezember weiß, dass die Impfstoffe von AstraZeneca oder Johnson&Johnson einfach zu lagern und transportieren sind, und ich keine besondere Kühlung dafür brauche, dann könnte man doch schon erwarten, dass das Ministerium sich auch schon im Dezember und nicht erst im März darüber Gedanken macht, wann und wie diese Impfstoffe bei den Hausärzten geimpft werden können.
Es könnte ja sein, dass ein Museumsbesuch oder Fußballspielen von Kindern im Freien gar keinen Effekt auf das Infektionsgeschehen hat.
Inwiefern hat die Gefahr, sich "Corona einzufangen", etwas mit dem sozialen Status beziehungsweise den Lebensbedingungen zu tun? Was ist Ihnen dazu bekannt?
Auch das wird in Deutschland leider nicht untersucht. Man muss sich Studien aus den USA oder Großbritannien anschauen, um diese Frage zu beantworten. Klar ist jedenfalls, dass bestimmte Berufe mit einem deutlich erhöhten Risiko einhergehen. Grundsätzlich sind es solche Berufe, in denen man Kontakt zu anderen Menschen haben muss, also Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei der Post, in Krankenhäusern, in Schlachtereien, Reinigungskräfte, Verkäuferinnen in Supermärkten, Erzieherinnen, aber auch Lehrerinnen und Lehrer, Polizisten, aber auch Apothekerinnen und Apotheker und so weiter. Viele dieser Jobs sind auch nicht besonders gut bezahlt, das heißt, diese Menschen wohnen häufig in kleineren Wohnungen, Häusern oder auch grundsätzlich enger zusammen, was dann das Risiko noch mal erhöht, dass, wenn sich einer infiziert hat, er oder sie auch den Rest der Familie ansteckt. Auch Menschen mit Migrationshintergrund arbeiten überdurchschnittlich häufig in schlechter bezahlten Jobs mit direktem Kundenkontakt. Deshalb findet man auch unter ihnen ein höheres Infektionsrisiko. Doch die Gesundheitsministerien wissen darüber fast nichts. Das ist schade. Denn wüsste man, welche Berufsgruppen tatsächlich das größte Risiko haben, könnte man auch gezielter intervenieren, man könnte sie häufiger testen und womöglich wäre es auch sinnvoll, sie bei der Impfung zu bevorzugen.
Wie sehen Sie die medizinische Versorgung beziehungsweise Ausstattung des Gesundheitswesens bei uns? Benötigt die Pflege eine Aufwertung in Form von mehr Personal, von besserer Entlohnung?
Das wurde ja am Anfang der Pandemie besonders deutlich, als es hieß, dass Deutschland so viel besser auf die Pandemie vorbereitet wäre, weil es nirgendwo in Europa so viele Intensivbetten pro Einwohner gäbe wie hierzulande. Später wurde klar: Es gibt zwar tatsächlich viele Betten und viele Beatmungsgeräte, aber es gibt häufig gar nicht genug Intensivpflegepersonal, um diese Betten wirklich zu betreuen. Grundsätzlich ist es so, dass es im Gesundheitswesen Über- und Unterversorgung gibt. Das heißt, an manchen Stellen schmeißen wir das Geld zum Fenster raus, zum Beispiel bei unnötigen Wirbelsäulen-OPs, Arthroskopien, Herzkatheter-Untersuchungen oder den Preisen für Röntgen-Kontrastmittel. Und beim Pflegepersonal sparen wir so viel, dass es einen direkten negativen Einfluss auf den medizinischen Behandlungserfolg hat. Also: Geld ist genug im System. Wenn man es aber anders verteilt, könnte man einen viel höheren Nutzen für Patientinnen und Patienten erzielen.
Was sind andere Schwerpunkte Ihrer journalistischen Arbeit?
Inhaltlich ist es eben nicht nur Corona, sondern grundsätzlich das Gesundheitswesen, wobei es nicht nur medizinische Fragen, sondern wirtschaftliche sind. Ich beschäftige mich seit Jahren auch mit Korruption und Interessenkonflikten im Gesundheitswesen. Darüber hinaus leite ich ja auch noch das Berliner Büro der Investigativressorts von NDR und WDR, das mit der Süddeutschen Zeitung kooperiert und vor allem die großen Recherchen wie Wirecard, ImplantFiles oder die Steueroasen-Geschichten erfordern sehr viel Absprache und Koordinierung, damit es am Ende für alle drei beteiligten Medien optimal läuft.
Markus Grill – der Name ist eine Marke
Markus Grill ist 1968 in Wasseralfingen geboren, hat erste journalistische Erfahrungen bei der Schülerzeitung "Eintopf" der Karl-Kessler-Realschule gemacht, war aktiver Ministrant, hat 1989 dann am Peutinger Gymnasium in Ellwangen Abitur gemacht. Volontariat bei der Badischen Zeitung in Freiburg, danach Korrespondent in Straßburg für die Badische Zeitung, später zum "Stern" nach Hamburg, von dort 2009 zum "Spiegel". Von 2012 bis 2014 als Spiegel-Wirtschaftskorrespondent in Washington D.C.. Seit 2017 arbeitet Grill bei der ARD, leitet das Berliner Büro der Investigativressorts von NDR und WDR. Er ist verheiratet und hat zwei Kinder.
In der Aalener Stadthalle auf einem Podium mit Wieland Backes war Markus Grill im April 2019 zu Gast.