Vernichtung durch Arbeit im KZ Wasseralfingen

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Die Produktionsstollen (blau) schlossen direkt an den Alfing-Luftschutzstollen an (orange). Die geplanten Produktionsstollen am Braunenberg wurden nie verwirklicht. Das Ruckenlager diente zur Unterbringung von Kriegsgefangenen und Zwangsarbeitern der Schwäbischen Hüttenwerke (Luftbild von 2021).

Weniger als die Hälfte der polnischen Häftlinge im KZ-Außenlager Wasseralfingen überlebte den Krieg. Das beweisen neueste Erkenntnisse. Stadtarchivar Dr. Georg Wendt fasst sie für die SchwäPo zusammen und erklärt, was die Firma Alfing damit zu tun hat.

Aalen-Wasseralfingen. Anfang der 1930er Jahre drohte Alfing der Ruin. Inmitten der Weltwirtschaftskrise blieben die Aufträge fast gänzlich aus. 1933 beschäftigte das Unternehmen noch 550 Mitarbeiter und setzte nur 1,4 Millionen Reichsmark um. Elf Jahre später aber, im Jahr 1944, zählte das Unternehmen fast zehnmal so viele Mitarbeiter und hatte seinen Umsatz verachtzigtfacht. Was war geschehen?

Alfing entwickelte sich ab 1935 zu einem der bedeutendsten Unternehmen für die Aufrüstung der deutschen Luftwaffe. In diesem Jahr nämlich hatten Ingenieure des Schmiedewerks Kessler einen Weg gefunden, Kurbelwellen im Gesenk besonders rissfest zu produzieren. Das weckte das Interesse der deutschen Luftwaffe, hoffte man doch so, die Motoren von Kampfflugzeugen robuster bauen zu können. Die NS-Rüstungsindustrie versorgte Alfing vor allem nach Kriegsbeginn 1939 mit lukrativen Aufträgen, wodurch das Unternehmen im gleichen Maße wuchs, wie es sich vom NS-Regime abhängig machte. Spätestens ab Beginn des „Totalen Kriegs“ 1943 hatte das Rüstungsministerium bei allen wichtigen Unternehmensentscheidungen das letzte Wort.

Gegen den Willen von Alfing

Das bekam Firmengründer Karl Kessler im Frühjahr 1944 zu spüren. Nach schweren Luftangriffen auf die deutsche Luftwaffenindustrie hatte das Rüstungsministerium Alfing befohlen, zum Schutz der Produktion ein Fünftel der Maschinen in unterirdische Produktionsstollen nördlich des Alfing-Geländes zu verlegen (heute: östlich der Urbanen Wildnis). Im feuchten und brüchigen Schiefergestein fürchtete aber Kessler um Belegschaft und Maschinen. Seine Argumente wurden barsch zurückgewiesen, Alfing musste sich fügen.

Im Mai 1944 begann das Auffahren der Stollen unter der Bauleitung von Alfing. Das Unternehmen setzte dabei größtenteils belgische „Arbeitserziehungs“-Häftlinge aus dem Gefängnis St. Gilles bei Brüssel ein. Durch harte, aber zeitlich befristete Arbeit wollte das NS-Regime deren Willen brechen, um sie anschließend als „reguläre“ Zwangsarbeiter beschäftigen zu können. Einen Teil der Häftlinge brachte Alfing in der „Iran“-Fertigungshalle unter.

Im Herbst 1944 wechselte die Bauleitung: Auf Befehl Hitlers übernahm die Organisation Todt (OT), ein paramilitärischer Bautrupp des Rüstungsministeriums, alle Bauprojekte im Reich und damit auch die „Nephelin“ genannten Produktionsstollen von Alfing. Anstelle der Arbeitserziehungshäftlinge forderte die OT bei der SS polnische KZ-Häftlinge an, die nach der Niederschlagung des Warschauer Aufstandes von der SS ins KZ-Dachau verschleppt worden waren.

KZ am Ortsrand von Aalen-Wasseralfingen

Für die Unterbringung der KZ-Häftlinge aus Polen baute Alfing Anfang September 1944 im Auftrag des NS-Rüstungsministeriums am heutigen Eck Rosen-/Kolpingstraße vier Baracken, die südlich an das bereits bestehende SHW-Arbeitslager „Wiesendorf“ angrenzten. Keine 100 Meter trennten den Stacheldrahtzaun von den Doppelhaushälften der Moltkestraße: Es entstand ein kleines KZ-Außenlager direkt am Ortsrand Wasseralfingens.

Die westlichste Baracke war für die SS-Wachmannschaft vorgesehen, die sich aus ehemaligen Luftwaffensoldaten sowie „Volksdeutschen“ aus Rumänien zusammensetzte. Die drei Baracken für die KZ-Häftlinge waren durch einen doppelten Stacheldrahtzaun und zwei Wachtürme vom restlichen Lagerkomplex abgetrennt. Alle Häftlinge sollten in der mittleren Baracke untergebracht werden.

Kampf ums Überleben

Am 27. September 1944 kamen 400 polnischen KZ-Häftlinge in Wasseralfingen an. Unter härtesten Bedingungen mussten sie täglich elf Stunden in Holzschuhen und im Wasser stehend Stollen in den Schiefer treiben – ohne ausreichende Kleidung und Nahrung. Der KZ-Lagerschreiber Stefan Kieniewicz berichtete nach dem Krieg: „Zum Mittagessen gab es irgendeine Suppe, in der nicht einmal eine Kartoffel war, es war nur Wasser mit Gras.“ Der fürchterliche Zustand der KZ-Häftlinge schockierte auch manchen Wasseralfinger. Kieniewicz berichtete: „Wenn wir morgens um 5 zur Arbeit an ihren Zäunen vorbeikamen, fanden wir immer an den Pforten etwas für uns zum Essen vorbereitet. Eine Brotschnitte mit Marmelade oder Margarine, ein paar Äpfel.“

Das Überleben im KZ war geprägt durch alltägliche Gewalt, ausgeübt durch die Wachen und Kapos (Funktionshäftlinge). Kieniewicz: „Der düsterste Typ war ein Kapo namens Heinz Preuss. Preuss schlug auf eine ausgefallene Art und Weise, und man konnte sehen, dass er es genoss.“ Zum Teil endeten die Misshandlungen auch tödlich: „Ein Gefangener hatte sich während der Arbeitszeit außerhalb des Lagers von seinem Kommando gelöst. Unter dem Verdacht, einen Fluchtversuch gemacht zu haben, wurde dieser Gefangene am Tor neben dem Wachtturm misshandelt. Am darauffolgenden Tage verstarb er.“ Vier weitere Häftlinge, deren Flucht aus dem Lager misslang, wurden an der Schillerlinde auf dem Braunenberg erschossen.

Misshandlungen, Hunger und Krankheiten dezimierten die Häftlingszahl ab November 1944 massiv, was die Lagerleitung billigend in Kauf nahm: Vernichtung durch Arbeit. Am 13. November 1944 stellte der jüdische Lagerarzt Dawid Wdowinski den Tod des ersten Häftlings fest. Um den Jahreswechsel erkrankten dann immer mehr Polen. In zwei großen Transporten wurden 120 kranke Häftlinge am 16. Januar und 2. Februar 1945 ins „Krankenlager“ Vaihingen überstellt, wo fast alle ohne jegliche medizinische Versorgung starben.

Anfang Februar 1945 wurde das KZ-Außenlager Wiesendorf endgültig aufgelöst. Weniger als die Hälfte der Wasseralfinger KZ-Häftlinge sollte das Kriegsende überleben – selbst für damalige Zeiten eine erschreckend hohe Sterblichkeitsrate. In Wasseralfingen selbst starben bis zu 54 Polen. 33 von ihnen haben nach dem Krieg ihre letzte Ruhestätte auf dem polnischen Gräberfeld des Wasseralfinger Friedhofs gefunden.

Ein angemessenes Erinnern an die Greueltaten im Zweiten Weltkrieg

Und die Produktionsstollen für Alfing? Anfang 1945 kamen die Arbeiten zum Stillstand. Nicht nur fehlten die Arbeiter, auch mangelte es kurz vor Kriegsende am Baumaterial. Lediglich vier Stollen waren soweit fertig, dass 57 Maschinen unter Tage produzieren konnten – nur fünf Prozent des Alfing-Maschinenparks. Nach Kriegsende räumte Alfing die Produktionsstollen und die amerikanische Militärregierung veranlasste im Herbst 1947 die Teilsprengung der Stollen.

Im westlichen Bereich des Geländes entstand eine Kleingartenanlage, die 2015 aufgrund des brüchigen Untergrunds aufgegeben werden musste. 2017 entschied der Gemeinderat, hier stattdessen die erste „Urbane Wildnis“ auf Aalener Stadtgebiet zu entwickeln. Ein breites Bündnis aus Ortschaftsverwaltung, Stolpersteininitiative, dem Bund für Heimatpflege, der Organisation Gegen das Vergessen sowie dem Stadtarchiv hat sich nun das Ziel gesetzt, den Opfern des Konzentrationslagers im Ortsbild angemessen zu gedenken. Im März dieses Jahres wird der Ortschaftsrat Wasseralfingen darüber diskutieren und entscheiden.

Das Mahnmal an der Schillerlinde auf dem Braunenberg für die Opfer des KZ-Lagers in Wasseralfingen.
Voller Hörsaal beim Vortrag von Dr. Georg Wendt über ein dunkles Kapitel Aalener Geschichte.
Die Fotografie aus dem Winter 1944/45 zeigt links im Vordergrund die Baracken des SHW-Arbeitslagers Wiesendorf. In blau und dahinter ist das eingezäunte KZ-Außenlager mit Wachtürmen zu erkennen. Rechts ist die westliche Straßenseite der Moltkestraße (Alfing-Siedlung) zu sehen.
Das Alfinggelände vom Westen gesehen in der Nachkriegszeit. Blau markiert ist die „Iran-Halle“, benannt nach dem ursprünglichen Auftraggeber für die Produktionshalle, der nach Kriegsbeginn nicht mehr beliefert werden konnte. In der Halle waren von Mai bis August 1944 bis zu 135 belgische Häftlinge untergebracht.
Das Mahnmal an der Schillerlinde auf dem Braunenberg für die Opfer des KZ-Lagers in Wasseralfingen.

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