- VonGerhard Königerschließen
Gut 200 Personen beteiligen sich an dem Protestmarsch von der Flüchtlingsunterkunft in die Ellwanger Innenstadt. Vorher schilderten die LEA-Bewohner ihre Sicht der Ereignisse.
Ellwangen
Am Mittwoch, kurz vor 20 Uhr, ging eine denkwürdige Veranstaltung zu Ende: Bewohner der Landeserstaufnahmestelle für Flüchtlinge (LEA), fast alles Schwarzafrikaner ohne Bleibeperspektive, fordern ein Ende der Abschiebungen. "Stop, stop, stop Deportation" skandieren sie auf ihrem Weg entlang der B 290, durch die Marien- und Spitalstraße, vorbei an den Einheimischen in den Straßencafés, die den überschaubaren Aufzug aus sicherer Perspektive verfolgen.
Doch was heißt hier sicher? Einige Einzelhändler hatten vorsichtshalber ab 17 Uhr ihre Läden geschlossen. Vermutlich fühlen sich viele Ellwanger nach den jüngsten Ereignissen durch die Schwarzafrikaner in der LEA ernsthaft bedroht. Dunkelhäutige "Rebellen", die sich zu Hunderten organisieren, gegen die Polizei aufbegehren und "rechtsfreie Räume" schaffen, so hat man es auf allen Kanälen gehört, gesehen und gelesen.
Die da mit "Pace"-Fahnen und Trommeln durch die Stadt ziehen, sehen nicht wie Schwerverbrecher aus. Auch die Angst, es könnten sich linksextreme Krawallmacher unter die Demonstranten mischen, erweist sich als unbegründet. Einige ergraute Aktivisten der Marxistisch-Leninistischen Partei Deutschlands (MLPD) halten ihr Banner hoch und stimmen "Hoch die internationale Solidarität" an. Der alte Schlachtruf von Kommunisten und Sozialisten klingt wohl für die LEA-Bewohner irgendwie hoffnungsvoll.
In einer "Pressekonferenz" vor Beginn der Demonstration schildern mehrere von ihnen vor dem Südtor der LEA auf Englisch und Französisch, wie sie die beiden Polizeieinsätze vorige Woche erlebt haben. "Wir haben die Polizei nicht bedroht", sagt einer, und: "Wir wollen nicht als Kriminelle behandelt werden." Die Einsätze seien brutal und angsteinflößend gewesen, "überzogen und politisch motiviert" steht auf Flugblättern, die Unterstützer verteilen. "Wir sind alle Brüder, wir sind alle schwarz", sagt einer der Migranten.
Fast jeder Afrikaner im Ellwanger Camp lebt in der permanenten Angst, er könne der Nächste sein, der von der Polizei geholt und abgeschoben wird. Niemand will nach Italien, von wo die meisten eingereist sind, abgeschoben werden, wie es das Dublin-Abkommen vorsieht. Zu schlecht sind die Erfahrungen, die sie dort gemacht haben.
Stop, stop, stop Deportation!
Der massive Polizeieinsatz hat das Gefühl des Ausgeliefertseins noch verstärkt. "Jetzt gibt es viele, die nicht mehr in der LEA übernachten, sondern irgendwo im Gebüsch schlafen, damit sie die Polizei nicht findet", erzählt ein Nigerianer, dem aber klar ist, dass er das Recht nicht auf seiner Seite hat. "Dublin" ist für die LEA-Bewohner aus Afrika der Grund für echte Verzweiflung.
Der gemeinsame Marsch durch die Stadt scheint für viele dieser Migranten wie ein Fest zu sein. Es sieht aus, als werteten sie die Solidarität, die Aktion als neue Hoffnung für sich. Dabei ist unwahrscheinlich, dass dieser Tag irgendetwas an ihrem Schicksal ändern wird. "Keine Abschiebungen mehr" klingt utopisch. Selbst dass sich die Politik bald darauf verständigen könnte, von nächtlichen Abschiebungen Abstand zu nehmen, ist unwahrscheinlich.
Einer der Sprecher richtet sich direkt an die hiesige Bevölkerung: "Leute aus Ellwangen, lernt uns kennen. Je mehr man sich kennt, desto mehr kann man sich verstehen. Gebt uns die Möglichkeit zur Kommunikation."
Mehr Bilder und ein Video finden Sie unter www.schwaepo.de.
Ellwangen. Im Vorfeld der Demonstration von LEA-Bewohnern haben sich Flüchtlinge, Stadtverwaltung und Einsatzleitung der Polizei zu einem Gespräch im Rathaus getroffen. Acht Migranten, fünf Männer, zwei Frauen und ein Kind, saßen im kleinen Sitzungssaal mit dem Bürgermeister und den Polizisten zusammen.
Wie der Leiter des Führungs- und Einsatzstabes am Polizeipräsidium Aalen, Peter Hönle, berichtet, habe man versucht, mit diesem Gespräch Transparenz für den aktuellen und für künftige Polizeieinsätze zu schaffen. Hönle war der Einsatzleiter bei der versuchten Abschiebung, als die Polizei vor einer aufgebrachten Gruppe von Flüchtlingen zurückwich und einen Togolesen, der bereits Handschellen trug, zurückließ. Hönle leitete auch den Großeinsatz mit mehreren Hundertschaften wenige Tage später, den mittlerweile die Flüchtlinge als überzogen und politisch motiviert kritisieren.
So sagen die LEA-Bewohner, den Polizisten, die den Togolesen abholen wollten, hätten nicht 150, sondern allenfalls 50 Migranten gegenübergestanden. Man sei auch nicht aggressiv gewesen, sondern vielmehr verängstigt und besorgt.
Peter Hönle erklärte den Migranten, dass die Zahl der Beteiligten in einer solchen Situation nicht entscheidend sei, sondern das Gefühl der Polizisten. Und die Kollegen hätten sich von der Menge so sehr bedroht gefühlt, dass sie sich zurückzogen.
Was die LEA-Bewohner immer wieder kritisierten, sind die Deportationen mitten in der Nacht. "We are black, but we are no animals" (Wir sind schwarz, aber wir sind keine Tiere), sagte einer der Migranten vor dem Tor der LEA.
Doch die nächtlichen Abschiebungen hat sich nicht die Polizei ausgedacht. "Die Polizei darf einen Migranten vor seiner Abschiebung nicht länger als unbedingt erforderlich festhalten. Also sind die Abholzeiten von den Flugplänen abhängig", erklärt Bürgermeister Volker Grab, der zuversichtlich ist, dass dieses Gespräch mehr Verständnis für die gegenseitigen Handlungsweisen und die Emotionen geschaffen hat.
Vor und während der Demonstration hatte die Polizei jedenfalls außer der Verkehrssicherung wenig bis nichts zu tun.
Ein Appell an alle Politiker
Die ganze Tragik von #ellwangen liegt darin, dass in der LEA Menschen leben, die kein Recht haben hier zu bleiben. Ihre Verzweiflung ist begründet, schließlich leben diese jungen Männer auch nur einmal. Sie haben alles dafür gegeben, um nach Deutschland zu kommen. Hier herrscht Frieden, Freiheit und Wohlstand, das sehen sie in Ellwangen jeden Tag.
Nach den Polizeieinsätzen wurden die Afrikaner in der LEA als Bedrohung für unsere Gesellschaft dargestellt, was sie nicht sind. Die Polizei mag nach ihrer Logik angemessen agiert haben, doch das Bild, das dadurch in den Medien vermittelt wurde, kam vor allem den politischen Entscheidern zupass: "Der Rechtsstaat greift durch", diese Botschaft war an zwei Adressen gerichtet: alle Migranten mit Ziel Deutschland und alle AFD-Wähler.
Anstatt Gesetze und Regelungen zu schaffen, die menschenwürdige Handlungsweisen ermöglichen, denken demokratische Politiker an den nächsten Urnengang. Das ist die ganze Tragik von #ellwangen.