1. Startseite
  2. Ostalb
  3. Ellwangen
  4. Stadt Ellwangen

Michael Kneissler: Von der SchwäPo in die weite Welt

Erstellt:

Von: Gerhard Königer

Kommentare

Michael Kneissler (l.) und Gerhard Königer durchforsten das SchwäPo-Archiv nach Texten von "mike".
Michael Kneissler (l.) und Gerhard Königer durchforsten das SchwäPo-Archiv nach Texten von "mike". © Max Kratzer

Wie Michael Kneissler vor über 50 Jahren bei der SchwäPo in Ellwangen seine ersten Berichte geschrieben hat und dann Karriere als Journalist und Autor machte.

Ellwangen

Eine Recherche für den "Focus" führt Michael Kneissler zurück nach Ellwangen, wo er in den 1970-er Jahren Mitarbeiter der Schwäpo war. Der 67-Jährige hat eine eindrucksvolle Karriere als Journalist und Autor hingelegt. Aktuell interessiert er sich für die LEA, die Arbeit der Erstaufnahmezentren, insbesondere den Umgang mit und die Betreuung von traumatisierten Flüchtlingen. 

Bei der Recherche vor Ort schaut er auch in der Redaktion Ellwangen vorbei und ist überrascht: "So groß! Damals in der Oberamtsstraße waren nur ein Redakteur und die Sekretärin." Kneissler hat ab 1971 unter Winfried Kopp (wiko) seine ersten Zeitungsberichte geschrieben.

Wir durchsuchen das Ausschnittarchiv und werden tatsächlich fündig: Konzertberichte, Theaterkritiken, Berichte über die Ellwanger Jugend, die gerne ein Jugendzentrum hätte. Eine ganze Menge ist da abgelegt mit seinem Kürzel "mike". Auf einer Seite "Pop regional" ist er mit langen Haaren abgebildet. Er besucht Konzerte von Rockbands, die in der Region auftreten, Kraan, Manfred Mann, Uriah Heep, schreibt über Ferienjobs, überfüllte Schulbusse, die neue Volljährigkeit mit 18, Alkoholmissbrauch und Rauchen.

Beim Blättern werden alte Erinnerungen wach, an Ellwangen ("eigentlich ein ganz hübsches Städtchen...") und an die Arbeit bei der SchwäPo: "Ich habe großen Respekt vor dem Lokaljournalismus. Wenn da einem was nicht passt, steht er am nächsten Tag vor deinem Schreibtisch. Das passiert dir bei überregionalen Medien nicht."

Kneissler ist auch rasender Reporter: "Ich musste einmal nachts zu einem Unfall auf der B29 und fotografierte mit der Polaroid, damit das noch aktuell mitgehen kann. Am nächsten Morgen rief mich der Verleger ins Büro und stauchte mich zusammen, weil auf dem Foto Leichen zu sehen waren."

Geboren ist Michael Kneissler 1955 in Stuttgart. Wie kam er nach Ellwangen? "Wir sind 1969 in die Ziegelhütte bei Ellenberg gezogen und ich besuchte das Peutinger Gymnasium. Morgens zu Fuß nach Breitenbach zum Schulbus, nach Ellwangen juckeln und mittags zurück.​ ​Mein Vater hatte die Ziegelhütte gekauft, weil er Konrad Lorenz Fan (Verhaltensforschung) war und mit Gänsen reden wollte. Sein bester Freund war aber dann das Huhn Kunigunde, das ihm Geschäftsfreunde geschenkt hatten und das ihm fast den Tod brachte, als er vom Giebelfenster miterleben musste, wie Kunigunde vom Fuchs geholt wurde. Da hatte er seinen ersten Herzinfarkt. Teilweise hatten wir um die 70 Tiere: Pferde, Esel, Ziegen, Schafe​, Kaninchen, Hunde, Katzen."

Es begann mit der Hauptversammlung der Kaninchenzüchter

Am Peutinger Gymnasium hat er sich schnell eingelebt, ist Mitglied der SMV und sogar stellvertretender Schülersprecher.​ Er schreibt für die Schülerzeitung "Lupe" und schließlich für die Schwäbische Post. Das kam so:

"Ich habe Handball gespielt und wir haben immer verloren, bis auf ein mal. Da fragte der Trainer, ob das jemand für die Zeitung schreiben kann. Das hab ich mit einem anderen Spieler im Roten Ochsen auf kariertem DIN A 5 Papier gemacht und den Zettel am nächsten Tag in der großen Pause zu Wiko in die Redaktion gebracht. Aus Angeberei, weil mein Nebensitzer mitgekommen war, fragte ich: ​ ​Brauchen Sie nicht einen Reporter? Wiko sagte: ja. Und kurz darauf hatte ich meinen ersten Job: Hauptversammlung des Kaninchenzüchtervereins in Bopfingen. Mein Vater fuhr mich hin, also war das vor 1971. Denn mit 16 durfte ich mit Ausnahmegenehmigung den Autoführerschein machen und Termine für die SchwäPo im Umkreis von 25 Kilometer um Ellwangen wahrnehmen. Weitere Entfernungen durfte ich erst mit 18 fahren."

Noch vor dem Abitur unterbricht Kneissler die Schule und fährt zur See. "Weil ich dachte, ich werde Kapitän. Aber immer mehr Meer, war dann doch langweilig und ich kam zurück ans PG und mir war klar, dass ich Journalist werden will. Ich habe heute noch ein Seefahrtsbuch und könnte jederzeit überall anheuern."

Freie Hand bei "Pop Regional"

Er kommt dann zurück und macht 1975 in Ellwangen Abitur. Kneissler: "Ich hatte mich bei der deutschen Journalistenschule in München beworben, wurde angenommen, ging dann aber doch lieber zur SchwäPo ins Volontariat, und hatte dort meine Jugendseite Pop Regional (in die mir nie jemand reingeredet hat, was sehr cool war, ich machte sogar selbst den Umbruch). Parallel dazu war ich Radio Reporter für SDR Point, das hatte Erwin Hafner genehmigt und ich fuhr mit meinem orangen Mini Cooper immer nach Stuttgart, um meine Beiträge zu schneiden."

An die Zeit als Volontär hat Michael Kneissler viele gute Erinnerungen. "Die SchwäPo mit Hafner war für mich ein echter Glücksfall, weil ich viele Freiheiten hatte. Stress gab es immer nur, wenn ich im Sommer​ ​während der Ferien fast allein in der Redaktion war und dann Überschriften gemacht habe wie "Sie ist brünett und scharf auf Parksünder" (über die erste Politesse in Aalen). ​Ich glaube Hafner fand das insgeheim ganz cool, dass ich versuchte aus der SchwäPo ein Boulevardblatt zu machen, sonst niemand. Außerdem gab es immer Ärger mit Herrn Wolf, der als Freier Mitarbeiter aus Oberkochen berichtete, wenn ich dessen schlechte, langatmige Berichte brutal gekürzt und redigiert hatte. Und mit meiner Freundin musste ich mich konspirativ treffen, die war nämlich Volontärin bei der Aalener Volkszeitung und Beziehungen zur Konkurrenz wurden von beiden Seiten nicht gern gesehen. Gut, dass wir beide in Wasseralfingen wohnten, ab vom Schuss."

Ganz aus dem hohlen Bauch kommt bei Michael Kneissler das Schreiben nicht: sein Vater war Verlagskaufmann und beim Westermann Verlag für Marketing und Vertrieb der Westermanns Monatshefte zuständig, seine Mutter war Autorin und Übersetzerin (Das große Origami-Buch, Leben auf dem Land, Bitte Mutti spiel mit mir), seine Schwester leitete bis Dezember den Delius Klasing Buchverlag in Hamburg, seine Frau ist Bestseller-Autorin ("Tränenmond")​. ​Kniessler: "Ich bin mit Büchern und Magazinen aufgewachsen.​"

Mit Krabbenfischern auf der Nordsee

Nach dem Volontariat geht Kneissler als Nachrichtenredakteur zur tz in München, ist dann ein Jahr im Zivildienst Pressesprecher des DRK Baden-Württemberg in Stuttgart. "Ich habe mir dort beim Bundesamt für Zivildienst einen eigenen Zivi angefordert - und ihn bekommen. Unverschämtheit hilft weiter. Danach ging ich zur AZ, Seite 3, die Reportagenseite, die damals einen sehr guten Ruf hatte. Und als ich mich im Juni 1980 selbstständig machte, hab ich deshalb gleich einen ersten Auftrag vom Zeitmagazin bekommen: Mit Krabbenfischern auf der Nordsee. Das hat mir das Studium (Kommunikationswissenschaft und Psychologie an der LMU) stark erleichtert, weil mich alle Dozenten und Professoren ständig im ZEITmagazin lasen und gut verstanden haben, dass ich nicht in jedes Seminar kommen kann."

Kneisslers weitere Karriere kann man auf Wikipedia nachlesen: Er wird Kriegsberichterstatter, interviewt Prominente, macht Wissenschaftsreportagen, wird Chefreporter. Seine Reportagen erscheinen im Zeit-Magazin, bei brandeins, Playboy, Stern, Spiegel. Er liefert Inhalte für fast alle großen Magazine und übernimmt Leitungsfunktionen. Schließlich wird er Chefredakteur der Entwicklungsredaktion Future der Bauer Media Group und 2012 Leiter der Münchner Redaktion von G+J Corporate Editors.

Erfolge feiert Kneissler auch als Buchautor, mit Sachbüchern und Belletristik. In der humorvollen Reihe "Papas kleine Monster" verarbeitet er die Elternzeit mit seinen fünf Kindern.

Frage: Gibt es eigentlich diese eine Geschichte, die dein Leben verändert hat? Die Türen nach ganz oben öffnete, so was wie ein Durchbruch war?

Kneissler: "​Da gibt es nicht die EINE Geschichte, da gibt es viele. Und vor allem meine Bücher. Bücher machen einen nicht reich, aber bekannt. Talkshows, Radiointerviews und so weiter. Die großen Geschichten auf der Reportagenseite während der ​Volontärszeit in der Südwestpresse haben mich nach München gebracht. Die Seite 3 in der AZ mit meinen Geschichten hat meinen Namen in allen wichtigen Redaktionen Deutschlands bekannt gemacht. Und als ich dann für's Zeitmagazin schrieb, war das ein richtiger Booster und plötzlich wollten mich alle: Spiegel, Stern, SZ-Magazin. Ich bin für den WIENER jeden Monat durch die ganze Welt gereist, 120 Länder. Der nächste Schritt waren meine Undercovergeschichten. Ich habe Auftragsmörder, Entmieter, Stasi-Agenten, Menschenhändler enttarnt. Und das führt dann zur BUNTE. Die Auftragsmörder, Entmieter, Stasi-Agenten, Menschenhändler fanden das nämlich gar nicht lustig und haben mich und meine Familie bedroht. Meine Frau wollte dann, dass ich was Harmloseres mache - und zack kam die BUNTE und hat mich als Berater der Chefredaktion und Interviewer eingestellt. Christoph Daum hat mir seine Drogenvergangenheit gebeichtet (auf einem First-Class-Flug von Miami nach Frankfurt), ich habe Carlos Santana, Soraya, Milva, Dieter Bohlen, Lionel Richie und hunderte andere interviewt. Und plötzlich war ich Celebrity Experte und im Fernsehen."

 

Macht es dir als Journalist, der im Print groß geworden ist, zu schaffen, dass der Journalismus so massiv in das Internet abwandert?

​Das stört mich überhaupt nicht​. Zeiten ändern sich.  ​Ich liebe Print, die Haptik, den Geruch, die multiplen Einsatzmöglichkeiten (bei der SchwäPo in Ellwangen habe ich mal erlebt, wie eine ältere Frau ihr Abo gekündigt hat, sie lese jetzt lieber die Ipf- und Jagst-Zeitung, die könne man besser als Klopapier benutzen, mehr Saugkraft, weniger Druckfarbe), aber Print ist eigentlich jetzt schon tot​. Aktuelle Informationen mühsam und wenig nachhaltig auf Papier drucken und dann durch den Landkreis fahren, das ist vorsintflutlich. Lokal- und Nachrichtenjournalismus muss digital gemacht werden. Und was spricht dagegen, Klicks zu zählen? Klicks sind ein ziemlich guter Indikator, was die Leute lesen und sehen oder hören wollen. Für mich als Autor ist das Internet mit den vielen Kanälen super, alle brauchen neuen, frischen Content  - und das kann Chat GBT nicht, der kann nur abschreiben und nicht recherchieren oder selbst etwas erleben.

 

Bedauerst du den Niedergang der gedruckten Zeitung/Zeitschrift?

​Ja, aber nur weil damit ein ganzer Berufsstand endgültig ausstirbt: die stolzen Setzer, Metteure​, Drucker, die ich sehr bewundert habe. ​Einige Druckerzeugnisse wird es auch künftig noch geben - immer da wo es auf Haptik, Wertigkeit​, Retro-Charme ankommt. Aber viele werden das nicht sein. Ich selbst lese fast gar nichts mehr auf Papier, sondern alles digital.

 

Welche Folgen hat es für den Journalismus, wenn dank KI (Deep)Fakes in Text, Bild, Ton so einfach werden?

​Reproduktiver Journalismus stirbt aus. Wer nur abschreibt und Informationen montiert, ist weg vom Fenster, das kann KI schneller und meistens auch besser. Aber Recherche, Reisen, Erleben, Kreativität, Interviews führen - das kann KI nicht. Da braucht man auch künftig Journalistinnen und Journalisten​. 

 

Was ist für dich Qualitätsjournalismus?

​Qualitätsjournalismus ist Journalismus, der den Horizont erweitert statt einschränkt, der mir Neues anbietet statt Altes, der recherchestark, meinungsstark, mutig, unterhaltend ist. Und der Spaß macht, zumindest den Leserinnen, Hörern und Zuschauern. 

 

Hast du ein, zwei Tipps für die jungen Kollegen, die jetzt volontieren?

​Ihr habt den geilsten Job der Welt, weil er Euch jeden Tag ​Neues bringt, weil es überall Geschichten gibt, die man erzählen kann und muss, weil es jeden Tag Challenges gibt und weil Gedanken frei sind. Nützt diese Chance: S​eid neugierig, seid vielseitig, seid misstrauisch, mutig, frech, weltoffen und unverschämt. Geht in die sozialen Medien, probiert euch auf Tik Tok, Insta oder wo auch immer aus. Macht Podcasts und Videos. Lasst Dronen aufsteigen und KI helfen. Und prüft nach, ob ihr wirklich brennt für Journalismus. Wenn nicht, macht lieber was anderes, denn der Weg, ​den ihr geht​,​ wird kein leichter sein, dieser Weg wird steinig und schwer​. ​

 

Michael Kneissler mit langen Haaren auf der Seite "Pop Regional"
Michael Kneissler mit langen Haaren auf der Seite "Pop Regional" © Königer, Gerhard
Michael Kneissler (r.) und Gerhard Königer durchforsten das SchwäPo-Archiv nach Texten von "mike".
Michael Kneissler (r.) und Gerhard Königer durchforsten das SchwäPo-Archiv nach Texten von "mike". © Max Kratzer
Michael Kneissler (l.) und Gerhard Königer durchforsten das SchwäPo-Archiv nach Texten von "mike".
Michael Kneissler (l.) und Gerhard Königer durchforsten das SchwäPo-Archiv nach Texten von "mike". © Max Kratzer
Michael Kneissler (r.) und Gerhard Königer durchforsten das SchwäPo-Archiv nach Texten von "mike".
Michael Kneissler (r.) und Gerhard Königer durchforsten das SchwäPo-Archiv nach Texten von "mike". © Max Kratzer

Auch interessant

Kommentare