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Streit um Stolpersteine: Wie viel Gold braucht das Ellwanger Pflaster?

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Von: Gerhard Königer

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Stolpersteine in Neuler: Die Brüder Gottfried und Xaver Fuchs wurden in den Konzentrationslagern Grafeneck beziehungsweise Mauthausen getötet.
Stolpersteine in Neuler: Die Brüder Gottfried und Xaver Fuchs wurden in den Konzentrationslagern Grafeneck beziehungsweise Mauthausen getötet. © Königer, Gerhard

Um die Verlegung von "Stolpersteinen" zum Gedenken an Opfer des Nationalsozialismus ist zwischen Stadtverwaltung und Initiative ein Streit entbrannt.

Ellwangen

Das Datum steht: am 29. Mai wird der Künstler Gunter Demnig in Ellwangen an verschiedenen Stellen zehn seiner goldfarbenen "Stolpersteine" verlegen. Jeder von ihnen erinnert an ein Opfer der NS-Diktatur. Zu diesem Ereignis reisen sogar Gäste aus den USA an, Nachkommen der jüdischen Familie Levi, der 1938 die Flucht über den Atlantik gelang. Sogar einen Film wollen sie über die Gedenkveranstaltung machen.

Vorbereitet hat das Ereignis die Stolpersteininitiative Ellwangen, ein Kreis von Ehrenamtlichen, der in mühseliger Archivarbeit die Daten der Opfer zusammengetragen und mit dem Künstler die Inschriften abgestimmt haben. Eigentlich waren sechs weitere Stolpersteine geplant, doch die Stadtverwaltung hatte gegen diese Bedenken. Das empört die Mitglieder der Initiative, denn die Kriterien, nach denen die Stolpersteine verlegt werden, formuliert der Künstler Demnig und sein Team aus Historikern und anderen Wissenschaftlern.

Er verlegt Steine für Ermordete, aber auch für Opfer, die Verfolgung und Haft überlebt haben. Die Inschriften lauten "Hier wohnte", "Hier stand" (zum Beispiel bei Synagogen), "Hier arbeitete/praktizierte", "Hier lebte" oder "hier lernte". Demnig verlegt auch mehrere Steine an verschiedenen Orten für ein und dieselbe Person, wenn das von den örtlichen Initiativen gewünscht wird.

Differenzen mit der Stadtverwaltung

Dagegen richtet sich der Widerstand der Stadtverwaltung. "Mehrere Stolpersteine an verschiedenen Orten für ein und dasselbe Opfer entwertet die ganze Aktion", sagt Kulturamtsleiter Dr. Anselm Grupp.

Zum Beispiel wollte die Stolpersteininitiative an den 1864 geborenen Dr. Ludwig Hess und seine Familie erinnern. Der Sohn des Ellwanger Buchhändlers Moritz Hess (1823-1902) wurde Rechtsanwalt und hatte ab 1890 eine Anwaltspraxis in Ellwangen. 1906 bekam er die Zulassung am Landgericht Stuttgart, eröffnete dort eine Kanzlei und wurde Notar. 1935 wurde ihm die Zulassung entzogen, er kam in das Zwangsaltersheim in Dellmensingen und starb im KZ Theresienstadt.

Ellwangen sei der "biologische Knoten" der Familie Hess gewesen, der letzte Ort, an dem die ganze Familie zusammen gelebt habe. Das und die Bekanntheit der Familie Hess rechtfertige es, für Ludwig Hess einen Stolperstein in Ellwangen zu verlegen, argumentiert die Initiative.

Grupp ist anderer Meinung. "Das Opfer, an das erinnert werden soll, und der Ort der Stolpersteinverlegung, sollten einen Zusammenhang haben, der in der NS-Zeit 1933 bis 1945 liegt", entgegnet der Kulturamtsleiter.

Kunstwerk oder Mahnmal?

"Die Stolpersteine sind ein Kunstwerk, das größte dezentrale Kunstwerk überhaupt. Da kann nicht eine Stadtverwaltung kommen und eigene Kriterien aufstellen", sagt Frank Keller. Und Peter Maile argwöhnt, dass die Stadt insgeheim die Zahl der Stolpersteine in der Stadt möglichst gering halten möchte: "Man hätte gerne ein zentrales Denkmal, das an alle Opfer erinnert", glaubt er und fühlt sich erinnert an die 1980-er und 1990-er Jahre, als er mit den Forschungen des Ellwanger Friedensforums zum Hessentaler Todesmarsch und zu KZ-Außenstellen bei Behörden auf Widerstand gestoßen waren.

Wenn es nach Frank Keller und Peter Maile geht, kann es nie zu viele Stolpersteine in einer Stadt geben. Die goldglänzenden Erinnerungen im Straßenpflaster zeigten doch an, wie offen eine Stadt mit ihrer Geschichte umgeht. Die abgelehnten Steine sind deshalb für die Mitglieder der Stolpersteininitiative nur aufgeschoben. Man werde weiter verhandeln und dabei den Gemeinderat einbinden. Der habe schließlich 2019 einstimmig der Verlegung von Stolpersteinen in der Stadt zugestimmt.

Wie viele Opfer des Nationalsozialismus aus Ellwangen kommen, lasse sich aktuell nicht annähernd beziffern, sagt Peter Maile. Ganze Opfergruppen würden erst nach und nach erfasst. Sinti und Roma, Zeugen Jehovas, Homosexuelle, Opfer der Justiz, Neugeborene von Zwangsarbeiterinnen, seelisch Kranke und Menschen mit Behinderung etwa. Durch die Recherchen der Stolpersteingruppen gelinge es den Archiven und Dokumentationszentren der ehemaligen KZ immer öfter Verbindungen herzustellen und Opfern, von denen bislang fast nichts bekannt war, ihre Vita zurück zu geben. "Man könnte in Ellwangen womöglich hunderte Stolpersteine verlegen", spekuliert Peter Maile.

Zehn Stolpersteine am 29. Mai

Verlegt werden vor der Schmiedstraße 5-7 Stolpersteine "Hier wohnte" für Babette, Julius, Melanie, Erich und Max Levi, die 1938 beziehungsweise 1940 in die USA geflohen waren. Vor dem Haus Sebastiansgraben 27 "Hier wohnte" für Rosa Heinrich, die 1939 in die USA geflohen war. Vor dem Gebäude Apothekergasse 3 "Hier wohnte" für Sigmund, LEA und Erwin Levi, die 1938 in die USA geflohen waren. Vor dem Gebäude Amtsgasse 6 ein Stein "Hier wohnte" für Hilda Müller, die 1933 in die Heilanstalt Schussenried eingewiesen und 1940 in Grafeneck ermordet wurde.

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