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Wenn Gier den Verstand ausschaltet

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Opfer links, Zeugenbeistand rechts: Nach eineinhalb Stunden ist die Aussage vor dem Landgericht Ellwangen beendet.
Opfer links, Zeugenbeistand rechts: Nach eineinhalb Stunden ist die Aussage vor dem Landgericht Ellwangen beendet. © Jens Sitarek

Mehrmals fällt er auf eine mutmaßliche Faksimile-Betrügerbande rein, verliert Hunderttausende Euro Bargeld und einen Koffer mit Goldmünzen. Warum ist ein 55-Jähriger aus Crailsheim so ein leichtes Opfer? Von Jens Sitarek

Ellwangen. Was ist das für ein Mensch? Warum hat jemand so viel Bargeld und einen Koffer voller Goldmünzen daheim? Und warum geht er der mutmaßlichen Betrügerbande gleich mehrmals auf den Leim? Wie kann das sein? Mit Spannung wird nach der Mittagspause am Freitag, dem dritten Prozesstag, die Aussage des Opfers vor dem Landgericht Ellwangen erwartet.

Doch der 55-Jährige aus Crailsheim verspätet sich, er hat auf dem Weg zum Gericht einen Autounfall, zum Glück nur Blechschaden. „Wir können kein Auto abschleppen und reparieren können wir es auch nicht“, so sagt es Bernhard Fritsch, der Vorsitzende Richter der 1. Großen Strafkammer. Aber er sorgt dafür, dass Justizwachtmeister den Mann abholen.

Eine dreiviertel Stunde später betritt der 55-Jährige den Schwurgerichtssaal. Mit großen Augen blickt er durch die Reihen und schnauft mehrmals tief durch. Es ist still im Saal. An seiner Seite ein Zeugenbeistand, Rechtsanwalt Tobias Göbel aus Heilbronn.

Fritsch will vom Zeugen wissen, ob es stimmt, dass er „gesundheitlich nicht voll auf der Höhe“ sei. „Korrekt“, antwortet der und listet verschiedene Erkrankungen auf. Sein Denkvermögen sei dadurch nicht eingeschränkt, aber: „Ich habe die Antwort im Kopf, aber bis die Antwort dann auf die Zunge kommt, dauert es eine Weile.“

Zur Erinnerung: Auf der Anklagebank sitzen Besnik F., Hakan B., Recep S., Fathi A. und Bugra A., zwischen 27 und 31 Jahre alt, deutsche, türkische und kosovarische Staatsangehörige, wohnhaft im Raum Nürnberg. Alle waren auf Provisionsbasis als Handelsvertreter tätig, verkauften vermeintlich wertvolle Bücher und hochwertige Faksimiles, also Nachbildungen historischer Dokumente. Jetzt müssen sie sich wegen Bandenbetrugs verantworten.

Name in der Szene nach teurem Kauf eines Faksimiles gehandelt

Vor Jahren erwarb der Mann aus Crailsheim ein Faksimile für 40 000 Euro, spätestens ab diesem Zeitpunkt wurden sein Name und seine Adresse in der Szene gehandelt. Oftmals handelt es sich bei den Opfern um frühere Bertelsmann-Kunden.

Im November 2021 suchten Hakan B. und eine gesondert verfolgte Person das Opfer auf. Es kam zu einer Vorauszahlung von 17 900 Euro für ein Buch. Die Männer gaukelten dem Crailsheimer vor, dass jemand seine ganze Sammlung kaufen würde. Dafür kassierten sie 8000 Euro Provision. Zudem nahmen sie unter einem Stuhl aus dem Schlafzimmer eine große rote Tüte mit. Darin: 120 000 Euro Bargeld. Wie sich jetzt herausstellt, waren sogar wohl 180 000 Euro drin. Allerdings erinnert sich das Opfer nicht an die Tüte. Sein Geld lagere immer im Bankschließfach. Sagt er.

Weiter ging es im August 2022. Recep S., Fathi A. und Bugra A. versuchten ihr Glück in Crailsheim, der Tipp kam von Hakan B. Es gebe da jemanden in der Schweiz, der würde die ganze Sammlung kaufen. Um den Deal einzufädeln, bräuchten sie eine Kaution von 150 000 Euro, damit würde ein Konto in der Schweiz eröffnet. Der 55-Jährige übergab das Geld, rief dann aber die Polizei („Ich bin betrogen worden“), weil die Männer ihm keine Ausweise zeigten. Kurz danach zahlte er weitere 2000 Euro.

„Wie passt das zusammen?“, fragt Richter Fritsch. Er sei da „noch mal unter Druck gesetzt“ worden, so der Zeuge, mit Argumenten. „Mich wundert es dennoch, dass man sich als Geschäftsmann so herschwätzen lässt“, sagt Fritsch und fügt hinzu: „Gier frisst Hirn“ – diesen Satz habe das Opfer in der polizeilichen Vernehmung gesagt.

Schließlich nahmen Recep S. und Hakan B. noch die Goldmünzen entgegen, Wert: 100 000 Euro. Diese entdeckten Recep S. und Bugra A. bei ihrem Besuch. Die ganze Geschichte flog auf, als der 55-Jährige weitere 15 000 Euro zahlen sollte, um die Abwicklung in der Schweiz zu beschleunigen. Beim Geldabholen wurde die Bank in Crailsheim misstrauisch, die Polizei wurde eingeschaltet.

Ob er das Geld bekommen habe, wurde der 55-Jährige am Telefon gefragt. Da habe er „gute Miene zum bösen Spiel“ gemacht. Als Besnik F. anschließend die 15 000 Euro abholte, wurde er verhaftet.

„Für mich gehören die Kunden im Regelfall alle unter Betreuung“, so sagt es Dirk Davidsohn, Verteidiger von Besnik F. aus Bielefeld, bereits am zweiten Prozesstag.

Die Verteidigung knöpft sich das Opfer vor

Jetzt knöpft er sich den 55-Jährigen vor. „Stehen Sie unter Betreuung, Vermögensbetreuung?“ „Nein.“

„Warum haben Sie keinen Arzt mitgenommen? Sie haben heute einen Anwalt dabei. Haben Sie sich die Bücher mal angeguckt, die Kaufverträge zeigen lassen?“ „Nein.“

„Haben Sie sich mal schlau gemacht über den Wert der Bücher im Internet? Warum nicht?“ „Weil ich keine Erfahrung mit Faksimiles habe. Es wurde mir offeriert, dass sie ein Vielfaches wert sind.“

Dann ist Achim Wizemann, Verteidiger von Recep S. aus Stuttgart, mit dem Fragen dran.

„Wie kamen Sie an die Goldmünzen?“ „Das ist ein Erbanteil von den Eltern.“

„Woher kommt das ganze Bargeld?“ „Von einem Immobilienverkauf.“

„Warum haben Sie so viel Bargeld zu Hause?“ „Einen expliziten Grund habe ich nicht gehabt.“

Angeklagte geben sich reumütig

Am zweiten Prozesstag gaben sich die Angeklagten reumütig. „Die Tat tut mir unendlich leid“, sagt Recep S. „Ich weiß, dass ich einen sehr großen Fehler gemacht habe.“

Bei Fathi A. klingt das so: „Ich bereue meinen Fehler sehr. Hatte in der Haft genug Zeit, darüber nachzudenken.“

Und bei Bugra A.: „Ich bin von mir zutiefst enttäuscht. Ich möchte mich bei dem Herrn tausendmal entschuldigen.“

Um den Schaden wiedergutzumachen, hat Bugra A. 6400 Euro, die bei einer Tat erlangt wurden, zurückgegeben und weitere 10 000 Euro abgeliefert, die seine Familie gesammelt hat. Zudem beteiligt er sich an einem Täter-Opfer-Ausgleich, der dem 55-Jährigen 70 000 Euro bringt.

Opfer hat Schulden

Geld, das der Mann gut gebrauchen kann, denn er hat – was den Fall noch kurioser macht – fast 700 000 Euro Schulden bei der Bank. Diese rührten von einer Firmeninsolvenz und einem geplatzten Immobilienkauf her, sagt er. Und er müsse eine Immobilie abzahlen. „Dass ich hier alle meine Brötchen auf den Tisch legen muss, war mir nicht bewusst.“

Nach eineinhalb Stunden ist die Zeugenaussage beendet. „Ich wünsche Ihnen alles, alles Gute“, betont Bugra A. Recep S. gibt dem Opfer Folgendes mit auf den Weg: „Es tat uns allen Beteiligten schon vor der Verhandlung leid.“

Und der 55-Jährige? Wendet sich den Rednern zu, nickt mit dem Kopf und sagt: „Ist angekommen.“ Von Jens Sitarek

Urteil am Montag, 8. Mai, erwartet

Der Prozess wird an diesem Montag, 8. Mai, um 9.30 Uhr fortgesetzt. An diesem vierten Verhandlungstag soll das Urteil fallen.

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