1. Startseite
  2. Ostalb
  3. Ellwangen

Wie hart trifft uns die Varta-Krise?

Erstellt: Aktualisiert:

Von: Robert Schwarz, Gerhard Königer

Kommentare

Plakat mit dem geplanten Neubau der Firmenzentrale: Was daraus wird, ist unklar. Die Baugrube ist ausgehoben, doch die Baustelle ruht.
Plakat mit dem geplanten Neubau der Firmenzentrale: Was daraus wird, ist unklar. Die Baugrube ist ausgehoben, doch die Baustelle ruht. © Königer, Gerhard

Weil bei der Varta AG die Umsätze zurückgehen, sind Stellenabbau und Einsparungen geplant. Brechen bei der Stadt jetzt die Gewerbesteuereinnahmen weg?

Ellwangen. Der Boom der wiederaufladbaren Knopfzellen hat Varta über Jahre hinweg Gewinne und Wachstum beschert. Weil Apple und andere Kunden das Qualitätsprodukt aus Ellwangen in Kopfhörer, Hörgeräte und Headsets einbauten, stieg die Produktion von Jahr zu Jahr und als der damalige CEO Herbert Schein mit der V4-Drive genannten Entwicklung auch noch den Markt für Akkus in der E-Mobilität aufrollen wollte, schien Varta eine glanzvolle Zukunft vor sich zu haben. 2020 wurde dem Unternehmen dafür eine Bundesförderung von 300 Millionen Euro zugesagt.

Die Stadt profitierte vom Li-I-Boom

Die Stadt Ellwangen hat vom Boom der Li-I-Zellen gleich mehrfach profitiert: die Gewerbesteuereinnahmen lagen mit schöner Regelmäßigkeit deutlich über dem Plan. Und weil das Unternehmen weiter wachsen wollte, machte der Gemeinderat den Weg frei, über den Bebauungsplan Daimlerstraße: Hochregallager, Produktionserweiterung durch Aufstockung der bestehenden Gebäude, Parkhaus und der neungeschossige Neubau der Firmenzentrale. Ministerpräsident Winfried Kretschmann kam im Juni 2022 zum Spatenstich. Kurz darauf sackte der Aktienkurs ab, als Apple neben Varta auf Samsung setzte. Auch die V4-Drive musste Rückschläge einstecken, der Aufbau einer Produktion in Nördlingen wurde auf unbestimmte Zeit verschoben, CEO Herbert Schein wurde von Dr. Markus Hackstein abgelöst.

Gewerbesteuerrückgang ist im Haushalt berücksichtigt

Kurzarbeit in Nördlingen, in Ellwangen wird offen über Stellenabbau gesprochen. Muss jetzt auch die Stadt Ellwangen den Gürtel enger schnallen? Oberbürgermeister Michael Dambacher sagt, die Eintrübung der Konjunktur und auch die veränderte Situation bei Varta  sei einkalkuliert, indem statt über 30 Millionen Euro wie in den vergangenen Jahren nur 23 Millionen Gewerbesteuereinnahmen angesetzt wurden. Unabhängig davon sei es immer alarmierend, wenn ein erfolgreiches Unternehmen Schlagseite bekommt. "Wir stehen in Kontakt mit der Unternehmensführung, treffen uns nächste Woche wieder zu Gesprächen", sagt Dambacher. Dabei wird es wahrscheinlich auch um den Bau der Firmenzentrale gehen, der aktuell ruht. Dambacher: "Die im Dezember erteilte Baugenehmigung ist drei Jahre gültig. In der Zeit sollte das Projekt vollendet werden."

Egal ob der größte Arbeitgeber der Stadt weiter einstellt oder Stellen abbaut, brauche Ellwangen dringend Wohnraum, sagt der Oberbürgermeister. "Wir haben 'Ellwangen Süd' nicht wegen der Varta geplant", verweist er auf eine Liste von über 50 Firmen, die in Ellwangen neu bauen beziehungsweise erweitern wollen.

Gewerkschafter sind "nicht pessimistisch"

„Kritisch, aber nicht pessimistisch“ betrachtet die IG Metall die Situation bei Varta. „Wir begrüßen die positiven Zukunftsprognosen und klaren Wachstumsperspektiven des Unternehmens“, sagt Tamara Hübner, erste Bevollmächtigte der IG Metall Aalen und Schwäbisch Gmünd. Die geplante Kapitalerhöhung sei „ein gutes Zeichen, dass die Aktionärinnen und Aktionäre nach wie vor hinter der Varta stehen“. Man werde die geplanten Maßnahmen „kritisch“ begleiten. „Es darf nicht sein, dass die Beschäftigten die Leidtragenden der aktuell schwierigen Situation werden. Oberste Priorität hat deshalb für uns die Sicherung der Arbeitsplätze!“, so Hübner weiter.  

Unruhe und Besorgnis bei Beschäftigten

Von „Unruhe und Besorgnis“ bei den Beschäftigten berichtet Fabian Fink, betreuender Gewerkschaftssekretär der beiden Varta-Betriebe in Ellwangen. Weder der Gewerkschaft noch dem Betriebsrat seien bislang Details zum Stellenabbau bekannt. „Um einen Abbau von Stellen zu vermeiden, stehen uns glücklicherweise verschiedenste Instrumente zur Verfügung.“ Ähnlich äußert sich der Betriebsrat: „Wir sind immer offen für konstruktive Gespräche mit der Geschäftsleitung“, erläutert Monika Schimmele, Betriebsratsvorsitzende der Varta Consumer Batteries: „Um Lösungen für die aktuelle Situation zu finden, brauchen wir aber erst mal klare Informationen von Seiten des Vorstandes.“ Ursula Grau, Betriebsratsvorsitzende der Varta Microbattery, betont, man stehe „ab sofort“ in einem direkten Austausch mit dem Management. „Sobald uns alle Zahlen, Daten, Fakten und die Ideen der Geschäftsleitung für mögliche Einsparmaßnahmen im Personalbereich vorliegen, werden wir diese diskutieren und die Belegschaft selbstverständlich informieren“, führt Grau aus. 

Welche Standorte konkret in welcher Form vom Stellenabbau betroffen sein werden, steht laut Varta noch nicht fest, wie Unternehmenssprecher Dr. Christian Kuczniercz betont. Er verweist auf die Gespräche mit dem Betriebsrat. Zwar hat Varta zuletzt vorrangig am Standort Nördlingen eingespart und auf Kurzarbeit gesetzt, da hier die kleinformatigen Batteriezellen für Fitnessuhren und Kopfhörer hergestellt werden. Allerdings ist hier auch der stark wachsende Bereich für Energiespeicher angesiedelt, in den Varta ebenso massiv investieren will wie in die Sparte der großformatigen Akkus, wie sie etwa in der Elektromobilität zum Einsatz kommen sollen. Dieser Geschäftsbereich ist in Ellwangen zu Hause.  

AFD gibt Regierung die Schuld

Den Schuldigen für die angespannte Situation bei Varta hat der Sprecher für Wirtschaft und Migration der AfD-Landtagsfraktion bereits ausgemacht: „Statt Alarm zu schlagen und auf die Wiederinbetriebnahme des Kernkraftwerkes Neckarwestheim 2 zu pochen, unterstützt die Landesregierung die Sanktions- und Embargopolitik gegen russische Ressourcen. (...) Sie ist damit auch mit verantwortlich für den drohenden Stellenabbau bei Varta in Ellwangen“, schreibt er in einer Pressemitteilung. 

 

Auch interessant

Kommentare