Innere Rückzugsorte und Lebensseile

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Jan-Hendrik Pelz vor einem seiner Ölgemälde aus der Serie „Here To There“, die er in Lorch zeigt.
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Jan-Hendrik Pelz zeigt „An Inner Place“ im Kloster und im Bürgerhaus in Lorch.

Lorch. Nur „die Leute in der Kunstblase“ ansprechen, das ist nicht Jan-Hendrik Pelz‘ Anspruch. Darum begegnen seine Werke aktuell Besuchern im Gmünder Rathaus, im Landratsamt und in der Volkshochschule. Und demnächst im Kloster und im Bürgerhaus in Lorch. Die Verteilung auf mehrere Orte sei eine bewusste Entscheidung, um möglichst viele verschiedene Menschen zu erreichen, sagt der in Stuttgart lebende Künstler. Schon lange beschäftigt ihn auch die Frage, „wie das Bild von der Wand in den Raum kommt“. Indem er etwa Oberkörper, Oberschenkel, Unterschenkel und Körperrückseiten des Porträtierten auf einzelne Leinwände malt und diese zusammenfügt, schafft er eine Skulptur aus den Bildern.

Der Künstler in seiner Zeit

Um die Menschen zu finden, die er darstellen wollte, ist Pelz in die Ellwanger Landeserstaufnahmestelle (LEA) gegangen. 35 Geflüchtete hat er dort skizziert, fotografiert, interviewt „und dann wochenlang gemalt“. Pelz beschäftigt die größte Fluchtbewegung seit dem Zweiten Weltkrieg, „das ist meine Zeit, in der ich lebe und das will ich reflektieren“. Ihn bewegt die Frage, ob die Geflüchteten wieder Heimat fühlen können. „Natürlich suchen sie nach einem äußeren Ort, aber es gibt eben auch einen inneren Rückzugsort“. So entstanden Bilder von Menschen mit vor der Brust verschränkten Armen und geschlossenen Augen, sichtbar an ihrem inneren Rückzugsort. „An Inner Place“ heißt darum die Ausstellung.

Die Personen scheinen lebensecht, aber nicht fotorealistisch. Pelz hat seine Werke nicht bis zu diesem Effekt geglättet. Die erkennbare, in vielen hundert Stunden Arbeit aufgetragene Farbstruktur macht die Bilder zu Gemälden, zu einer Ehrerbietung. „Früher waren es die Reichen, die so dargestellt wurden, heute sind es die Menschen, die alles verloren haben“, sagt er. Dass er mit dieser Ausstellung 2022 zur Documenta nach Kassel eingeladen war, macht Pelz immer noch glücklich, auch wenn bei dieser ein Antisemitismus-Skandal das künstlerische Anliegen in den Hintergrund gedrängt hat.

Nun zieht die Ausstellung von Gmünd in die Klosterkirche um, eine Woche später außerdem ins Bürgerhaus. Pelz legt Wert auf örtliche und menschliche Vielfalt, wie sie etwa das von religiöser Geschichte und Tourismus geprägte Kloster birgt. Zumal er zu letzterem eine persönliche Beziehung hat, denn sein Bruder Erik und sein Vater Gunter sind die Gesichter der dort beheimateten Stauferfalknerei.

Mit Kurven und Schlingen

Extra für Lorch bringt Jan-Hendrik Pelz eine Weiterentwicklung der „Inner Places“ ins Spiel: Die Ölgemäldeserie „Here To There“ beinhaltet sechs 1,6 Meter breite Stillleben, in deren Zentrum jeweils ein auf dem Boden liegendes Seil. Es symbolisiert, mit Kurven und Schlingen, ein Leben. Steine, Blüten, Stöcke und Kerzen stehen für Ereignisse, Taten oder Verlust. Pelz fasst damit das psychotherapeutische Konzept der narrativen Expositionstherapie in ein Kunstwerk. Eine traumatisierte Person geht dabei ihr Lebensseil durch, platziert die Gegenstände entsprechend der Ereignisse und arbeitet diese dabei auf, sagt er.

Die Mitarbeitenden des Kompetenzzentrums Psychotraumatologie der Universität Konstanz reagierten begeistert auf Pelz Anfrage. Und auf diese Weise therapierte Geflüchtete erlaubten ihm, ihre Lebensseile zu fotografieren und mit einer Legende der dargestellten Ereignisse zu versehen. So seien Stillleben entstanden, die auf einer zweiten Ebene eine Bedeutung offenbaren. Trotz Traumata könne das auch Schönes beinhalten. Etwa, wenn eine Blume als positives Symbol am Anfang eines solchen Lebenswegs liegt. ⋌Anja Müller

Zwei Orte für „An Inner Place“ in Lorch

Vernissage in der Lorcher Klosterkirche am Freitag, 24. März, um 18 Uhr. Geöffnet mittwochs bis sonntags 11 bis 18 Uhr sowie an Ostermontag. Eintritt ins Klostergelände: 6 Euro.Matinee zur Ausstellungseröffnung im Bürgerhaus Lorch am Sonntag, 2. April, um 11 Uhr, geöffnet täglich bis Montag, 10. April, von 11 bis 18 Uhr, Eintritt frei. Lesung mit dem aus Iran stammenden Schauspieler Delschad Numan Khorschid am Freitag, 7. April, 18 Uhr. Manfred Schramm vom Freundeskreis Kloster Lorch freut sich über die Kooperation mit der Stadtverwaltung bei dieser Ausstellung. Bürgermeisterin Marita Funk hat bereits beim Blick auf Jan-Hendrik Pelz' Werke in Gmünd festgestellt, dass sie zum genaueren Hinschauen animieren.

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