1. Startseite
  2. Ostalb
  3. Ostalb-Kultur

Geschichte, die erzählt werden muss

Erstellt:

Von: Dagmar Oltersdorf

Kommentare

"Mädchen mit Hutschachtel" der Jungen Badischen Landesbühne.
"Mädchen mit Hutschachtel" der Jungen Badischen Landesbühne. © Sonja Ramm

Die Junge Badische Landesbühne Bruchsal zu Gast mit dem Dokumentartheaterstück „Mädchen mit Hutschachtel“ von Lisa Sommerfeldt. Wie die Geschichte von Edith Löb erzählt wird

Aalen

Mit Holocaust-Überlebenden sprechen? Will man das? Diese Frage - „Do you like to talk to Holocaust survivers?“ stellt eingangs das „Mädchen mit Hutschachtel“ rhetorisch ins Publikum. Das Mädchen ist eine der jüdischen Bruchsaler Holocaust-Überlebenden: Edith Löb, heute Leuchter, der es gelingt, die Nazi-Diktatur im Untergrund zu überleben. Zu sehen war ihre Geschichte als Dokumentartheaterstück unter der Regie der ehemaligen Aalener Dramaturgin Petra Jenni im Kulturbahnhof Aalen. Lisa Sommerfeldt hat es für die Junge Badische Landesbühne Bruchsal geschrieben.

Wer ist dieses Mädchen mit der runden Hutschachtel, die ein Propagandafilm der Nazis zeigt? Ein Filmausschnitt, schwarz-weiß, projiziert auf einer runden Leinwand in der Bühnenmitte, zeichnet zunächst nach, wie Edith überhaupt in den Fokus der Bruchsaler Theatermacher geriet: Es ist eben dieser Filmausschnitt „Bruchsal judenfrei! Die letzten Juden verlassen Bruchsal“, der sie auf die Spur des Mädchens brachte.

Geschichte und Fiktion

Nun, auf der Bühne, ist die Filmrolle archiviert in einer der zehn weißen, auf Stuhlbeinen montierten Schachteln. Die Schauspielenden positionieren diese abwechselnd immer wieder neu, um so den Szenenwechsel zu kennzeichnen. Bruchsal, Frankfurt, Frankreich, Züge, die in den Osten fahren, Theresienstadt, Auschwitz. New York.

Halb dokumentarisch über die Leinwand und Erzählungen, halb dramatisch zeichnet „Mädchen mit Hutschachtel“ die Geschichte der Familie Löb nach. Da ist Edith (Hannah Ostermeier), der die wachsende Judenfeindlichkeit in Schule und Freundeskreis durchaus auffällt. Die sie aber nicht versteht. Da ist ihr jüngerer Bruder Heinz (Frederik Kienle), der zunächst in einem Kinderheim untergebracht wird. Er glaubt fast bis zu seiner letzten Nachricht aus Auschwitz im Mai 1944 mit kindlicher Unverzagtheit daran, dass er seine Familie wiedersehen wird. Und da ist Ediths Mutter Julie (Magdalena Suckow), die im Glauben an Gesetz und Dokumente zunächst versucht, mit ihrer Familie zu ihrem Mann in die USA auszuwandern. „Nur nicht in den Osten“, sagt sie immer wieder. Sie wird 1942 in Auschwitz vergast.

Zunächst aber wird die dreizehnjährige Edith zusammen mit ihrer Mutter und ihrer Großmutter ins französische Internierungslager nach Gurs verschleppt. Läusebefall, Hunger, die Mutter bezahlt ihre Hilfsbereitschaft mit einem Leistenbruch. Überleben. Edith kann mit anderen Kindern in den Untergrund bei Montpellier gebracht werden. „Ich spreche jetzt Französisch“, sagt sie. Sie bekommt eine neue Identität. Währenddessen hadern Verwandte in Esslingen damit, dass sie Heinz nicht zu sich holen. „Du kannst nichts tun“, sagt der nicht jüdische Fritz, der mit Julies Schwester Regine verheiratet ist. Auch sie sind später traumatisiert.

Ediths Großmutter stirbt in Gurs. Ihre Mutter wird nach Auschwitz transportiert, als das Lager aufgelöst wird. Edith überlebt. Sie kann 1946 nach New York zu ihrem Vater reisen. „Der Tod ist weit weg und wohnt in mir“, sagt sie, dort angekommen. Später, schon Mutter und verheiratet mit Kurt, den sie aus dem Lager in Frankreich kennt und in New York wieder getroffen hat, wird Edith um Wiedergutmachung kämpfen. Auch das erzählt das Stück.

Kinderbilder und Postkarten - Originaldokumente, in Verbindung mit sparsam eingesetzten fiktionalen Elementen und den Einschüben zweier Erzählerinnen, klar gekennzeichnet mit: „Das wissen wir:“ schaffen authentisch eine beständige Verbindung mit dem Publikum. Die Darsteller haben bis auf Hannah Ostermeier gleich mehrere Rollen - Kim Vanessa Földing unter anderem die einer der Erzählerinnen. Das funktioniert hier sehr gut - auch fast ohne Abgänge.

„Mädchen mit Hutschachtel“ überzeugt als klar erzählte Zeitgeschichte und berührt und beklemmt mit einfachen Mitteln. Das Stück schafft Bilder und Szenen, die lange nachwirken. Empfohlen ist es für Jugendliche ab 14 Jahre. Man müsse auch diesen die Geschichte von Edith Löb erzählen, so Regisseurin Petra Jenni. Zeitzeuginnen wie die heute 95-Jährige gebe es einfach nicht mehr lange.

Auch interessant

Kommentare