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Apotheker: Der Arzneimangel ist gefährlich für Kinder

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Von: Julia Müller

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Andere Apotheken und Arztpraxen wegen fehlender Medikamente abtelefonieren, kostet Dr. Claus Biechele von der Apotheke am Prediger und seine Kollegen viel Zeit.
Andere Apotheken und Arztpraxen wegen fehlender Medikamente abtelefonieren, kostet Dr. Claus Biechele von der Apotheke am Prediger und seine Kollegen viel Zeit. © HOJ

Antibiotika-Säfte für Kinder sind derzeit Mangelware. „Nehmen, was man hat“, sei daher die Devise, sagt der Chef der Kinder- und Jugendkliniken im Kreis, Dr. Jochen Riedel.

Schwäbisch Gmünd/Aalen

Apothekerin Susanne Baumhauer von der Einhorn- und der Paracelsus-Apotheke in Schwäbisch Gmünd hat mittlerweile „Horror“ vor ihren Notdiensten. Denn sie weiß schon im Vorfeld: Sie hat nicht genug Antibiotika-Säfte für Kinder da, die Eltern garantiert nachfragen werden. Genauso wenig wie die anderen Apotheken im Ostalbkreis. Bei seinem Notdienst neulich seien zehn Antibiotika-Säfte nach gut einer halben Stunde weg gewesen, erzählt Dr. Claus Biechele, Inhaber der Apotheke am Prediger in Schwäbisch Gmünd. Jens Boving von der Apotheke am Markt in Ellwangen nennt die Versorgungssituation bei Antibiotika-Säften für Kinder, die unter anderem bei Scharlach, Mittelohr- oder Mandelentzündungen zum Einsatz kommen, derzeit „bedenklich und gesundheitsgefährdend“. Schließlich könne eine nicht behandelte Infektion eskalieren.

Nicht ohne Lösung heim schicken

Einer Mutter zu sagen, dass sie das Medikament für ihr Kind nicht bekommt, das mit 40 Grad Fieber wegen Mittelohrentzündung brüllt, ist nicht einfach, weiß Dorothee Salzer-Korkut von der Stern-Apotheke in Aalen. Doch „wir versuchen, die Eltern nicht ohne Lösung aus der Apotheke zu schicken“, erklärt sie. So telefoniert die Apothekerin Kollegen ab, ob diese das verschriebene Medikament haben. Neulich seien Eltern von Aalen nach Schwäbisch Gmünd gefahren, um den Saft zu bekommen.

Alternativ können Apotheker aus Antibiotika-Tabletten mit Sirup einen Saft für Kinder herstellen. Vorausgesetzt, die Tabletten seien erhältlich. Doch auch diese seien momentan Mangelware. Wobei sich die Situation ständig ändere, ergänzt Susanne Baumhauer. Sie habe daher eine Mitarbeiterin beauftragt, die Lage im Großhandel stets im Blick zu haben. Sobald etwas lieferbar sei, tauche bei den Bestelllisten am Computer ein grünes Häkchen auf. Da müsse man schnell sein, sagt sie, „das ist wie an der Börse“.

Wenn das alles nichts bringt, müssen die Apotheker beim Arzt anrufen, um abzusprechen, ob das Kind ein alternatives Medikament bekommen kann. Eigentlich müssten die Kunden dann noch mal zum Arzt, um das Rezept ändern zu lassen, sagt Claus Biechele. Um ihnen diesen Gang zu ersparen, kläre er dies jedoch direkt mit dem Arzt. Unterm Strich viel bürokratischer Zusatzaufwand für die Apotheker, meint er. Zumal das Lieferproblem nicht nur Antibiotika-Säfte für Kinder betreffe, sondern etliche weitere Medikamente, aktuell etwa Magen-Darm-Tropfen.

Enttäuscht von der Regierung

Bei den Fiebersäften für Kinder habe sich die Situation etwas entspannt, berichtet Jens Boving. Die Bundesregierung habe bei diesen den Erstattungsbeitrag für die Krankenkassen um einen Euro erhöht. Das habe sich schnell bemerkbar gemacht. Weil der Erstattungsbeitrag in anderen Ländern höher sei als in Deutschland, lieferten Pharmahersteller lieber dorthin, erklärt Claus Biechele eine der Ursachen für die Arzneiknappheit hierzulande. Und das, nachdem die Regierung während der misslichen Lage bei Medikamenten während Corona doch Besserung versprochen habe, zeigt sich Susanne Baumhauer enttäuscht.

Chefarzt: können zum Teil nur suboptimal therapieren 

Dass Medikamente für Kinder nicht lieferbar sind, „sorgt und beschäftigt uns alltäglich in unseren beiden Kinderkliniken, wie auch unsere niedergelassenen Kinder- und Jugendfachärzte“, sagt Dr. Jochen Riedel, Chefarzt für Kinder- und Jugendmedizin am Stauferklinikum in Mutlangen und am Ostalb-Klinikum in Aalen. Vor allem Antibiotika-Säfte seien nur sehr eingeschränkt verfügbar.

Es gebe zahlreiche medizinische Leitlinien, welche Infektionskrankheiten mit welchem Wirkstoff in welcher Dosis wie lange behandelt werden sollen. Bei der Untersuchung von Krankheitskeimen im Labor werde geschaut, welches Antibiotikum für die Behandlung am besten passt. „Testgerechte Therapie“ nenne sich dies. Doch „die Realität sieht nun schon längere Zeit anders aus“, fasst der Chefarzt zusammen: „umgangssprachlich gesagt: nehmen, was man hat“.

„Wir bekommen in unseren Kliniken von unserer Zentralapotheke regelmäßige Informationen darüber, welche Präparate gerade lieferbar sind und welche nicht“, erzählt er aus der Praxis. „Aus diesem eingeschränkten Sortiment wählen wir dann aus.“ Die Folge sei, „dass wir zum Teil nur suboptimal therapieren können“, sagt er. Und zur Frage nach der Ursache für das „Dilemma“: Globale Einflüsse mit Kriegen und Unterbrechungen von Lieferketten haben zu dieser anhaltenden Engpasssituation geführt. In der Arzneimittelindustrie gehe es um Angebot und Nachfrage. In Deutschland gebe es, politisch gewollt, Rabattverträge mit den Krankenkassen und Preisdeckel auf Wirkstoffe und Medikamente. Das führe dazu, dass Pharmahersteller bevorzugt ihre Medikamente in andere Länder abgeben, die dafür besser bezahlen. So habe er neulich Medikamente in Österreich und Kroatien problemlos erhalten, die in Deutschland nicht lieferbar waren. „Für mich ein klarer Hinweis, dass unsere politischen Rahmenbedingungen nicht stimmen“, sagt er, „hier muss dringend nachgebessert werden“.

Leere Schubladen bei den Antibiotika-Säften für Kinder. Mit diesem Problem ist Dorothee Salzer-Korkut von der Stern-Apotheke in Aalen nicht allein.
Leere Schubladen bei den Antibiotika-Säften für Kinder. Mit diesem Problem ist Dorothee Salzer-Korkut von der Stern-Apotheke in Aalen nicht allein. © Oliver Giers

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