Welchen Beitrag Aalener Hufschmiede am Wiederaufbau der Stadtkirche St. Nikolaus leisteten, erzählt eine unscheinbare Sandsteintafel in der Mittelbachstraße. Von Achim Frick
Aalen
Erinnerungen verschwinden über die Jahre im Nebel der Geschichte, wiederentdeckt können sie manchmal Interessantes zu Tage bringen.
Wer als aufmerksamer Besucher durch Aalens Innenstadt schlendert, findet auf dem Weg in Richtung Reichsstädter Markt und Spital in der Mittelbachstraße ein interessantes Kleindenkmal. Es ist eine Sandsteinplatte, eingelassen in der Hauswand, die ein Hufeisen zeigt. Bei näherem Betrachten ist das augenfällige Hufeisen zusammen mit der Jahreszahl 1747 in einem Rahmen gefasst dargestellt. Unter dem Hufeisen sind drei Werkzeugen abgebildet und die stehen auf den Buchstabenfolgen G. B. B. und H. G. B..
Die Sandsteinplatte entspricht einem zeittypischen Handwerkerzeichen eines Hufschmieds, an erster Stelle steht das Hufeisen als Produkt des Handwerkers, danach folgen wichtige Werkzeuge für den Hufbeschlag eines Pferdes, nämlich der Hufschmiedehammer, das Wirkmesser und die Beißzange. Mit der angegebenen Jahreszahl 1747 lässt sich das Zeichen zeitlich einordnen und hoffentlich die Buchstabenfolgen klären. Eine Recherche in den Kirchenbüchern der ehemals Freien Reichsstadt Aalen gibt Aufschluss. 1747 heiratet in der Stadtkirche der ledige Hufschmied Heinrich Gustav Brucker, ein Sohn des Hufschmieds Georg Balthasar Brucker. Im Stadtarchiv, dem „Gedächtnis Aalens“ ist für das Jahr 1747 auch ein Kaufvertrag erhalten, wonach Georg Balthaß Bruker (1697-1758) seinem ältesten Sohn Heinrich Gustav Bruker (1724-1793) die Hälfte seines alten Hauses am mittleren Bach verkauft.
Beide sind übereingekommen, das alte Gebäude abzubrechen und ein neues, bestehend aus zwei Hälften, an gleicher Stelle gemeinschaftlich wiederaufzubauen. Im rechten Hausteil soll die Schmiedewerkstatt eingerichtet sein, die Vater und Sohn zusammen betreiben mit einem Gesellen. Die Schmiede-Bruker gehörten zu den alteingesessenen Familien in Aalen, sie sind in der Stadt nachweislich Hufschmiede über fünf Generationen und zählen zu den ehrbaren Handwerkern; Heinrich Gustav ist 1773 Zunftmeister und gehört auch dem städtischen Gremium der Vierundzwanziger an. Mit seinem Enkel Gustav Adolf Bruker (1767-1824) endet schließlich das Handwerk, er blieb Nachkommen los.
Die Bruker-Hufschmiede besorgen den Hufbeschlag von Arbeits- und Reitpferden und beschlagen die Klauen der für Zugdienste eingesetzten Kühe und Ochsen. Der Bestand an Reit- und Arbeitspferden in der Stadt ist groß und das befestigte Aalen ist auch kaiserliche Poststation und Marktplatz mit vielen ankommenden Transport-Fuhrwerken und reisenden Personen mit Pferd. Dem Bedarf entsprechend gibt es in der Stadt neben den Bruker Hufschmieden noch weitere.
Geschmiedet wird in der Werkstatt am Feuer, das Beschlagen erfolgt aber meist im Freien vor der Werkstatt. Die Bruker-Schmiede sind Handwerker und Selbstversorger mit landwirtschaftlichen Flächen und einem Viehbestand im Haus; ihre Miststätte liegt in der Gasse auf städtischem Grund und befindet sich zwischen ihrem Haus und der Kreuzwirtschaft. Die Kirche begleitet ihr Leben und Sterben eng, sie haben einen persönlichen Kirchenstuhl in der Stadtkirche, der als Liegenschaft im Nachlassfall vererbt wird.
Bausünde durch zu hohe Ansprüche der Reichsstadt
Der Hufschmied Caspar Bruker (1617-1660) hat 1634, siebzehnjährig, den katastrophalen Stadtbrand Aalens im Dreißigjährigen Kriegs miterlebt, dem auch die alte Pfarrkirche mit ihrem Chorturm zum Opfer fiel. Der Wiederaufbau der Stadtkirche verzögerte sich viele Jahre. Gottesdienste wurden deshalb lange in der Johanniskapelle abgehalten.
Erst 1668 war die Stadtkirche samt Turm wieder komplett hergestellt. Der neu errichtete Kirchturm genügte aber schon bald den reichsstädtischen Ansprüchen nicht mehr. Bereits 1685 entschloss sich die Stadt, den Turm um zwei Geschosse auf eine Turmhöhe von knapp fünfzig Metern zu erhöhen, ohne Rücksicht auf das Turmfundament. Es war für die große Bauwerkslast der neuen Turmausführung nicht ausgelegt. In den folgenden Jahren ergaben sich deswegen Risse im Turmmauerwerk. 1764 ließ die Stadt den bereits „sehr schadhaften“ Turm durch den herzoglich württembergischen Landbaumeister begutachten. Das Unglück nimmt seinen Lauf. Am Dienstag nach Pfingsten 1765 fallen morgens Steine vom Glockenturm, der städtische Rat wird verständigt und ist auf dem Weg. Noch vor dessen Eintreffen, kurz vor neun Uhr, stürzt der Kirchturm plötzlich und schnell ein. Beim Einsturz des Turmes wird das Kirchenschiff schwer beschädigt, die im Chor befindliche Orgel und das Altarkruzifix bleiben erstaunlicherweise unversehrt. Glücklicherweise nehmen auch die Ratsmitglieder, sowie die Kinder in der Schule neben der Kirche und das Schulgebäude selbst keinen Schaden. Dennoch sterben tragischerweise zwei junge Menschen. Maria Regina und Christian Balthasar Cramer, die vierundzwanzigjährige Tochter und der dreizehn Jahre alte Sohn des Türmers, wurden unter dem Schutt begraben und verloren ihr Leben. Bis auf Weiteres wird der Gottesdienst wieder in die Friedhofkapelle St. Johannis verlegt und das Gottesdienstläuten erfolgt mit der Rathausglocke.
Nach dem Einsturz des Kirchturms sind eine große Menge Schutt wegzuräumen und Baumaterialien, wie Kalk, Sand und Werksteine, herbei zu schaffen. Der Kalk zur Mörtelherstellung für den Wiederaufbau des Kirchturms kommt vom Aalener Ziegler Darm, der Sand ist aus der Sandgrube auf dem Galgenberg zu holen und die Werksteine aus dem Steinbruch in der Buchhalde.
Im August 1765 beauftragt der städtische Rat die Aalener Wagnermeister Eck und Mack mit der Herstellung von zwei neuen, starken hölzernen Transportwagen zum Preis von jeweils fünfzehn Gulden, sie sollen auch den alten, ruinösen „Feuerwagen“ der Stadt für zwölf Gulden wieder in einen brauchbaren Zustand bringen. Die Hufschmiede Georg Christoph Hirzel und Heinrich Gustav Bruker sind beauftragt, die beiden neuen Wagen samt der Deichselwaag zu einem Preis von je zwölf Gulden mit eisernen Beschlägen einzubinden und damit fahrtauglich zu machen. Den instandgesetzten Wagen beschlägt der Aalener Hufschmied Johannes Rieder zum Preis von sechs Gulden, er ist auch mit der Herstellung der erforderlichen, eisernen Wagenketten für die drei Wagen beauftragt, die er zu zwölf Kreuzer pro Pfund Kette liefert.
Das alte Handwerkerzeichen in der Mittelbachstraße erinnert an das ehemals ehrbare Handwerk der Huf- und Wagenschmiede und insbesondere an die vielen Generationen Schmiede Bruker, die hier in Aalen lebten und wirkten. Nicht zuletzt gedenkt es auch dem Wiederaufbau des Turms der Stadtkirche Aalen im Jahr 1765 in seinem heutigen Erscheinungsbild, unter der aktiven Beteiligung des örtlichen, städtischen Handwerks. H.G.B. auf dem Handwerkerzeichen, der Aalener Hufschmied Heinrich Gustav Bruker (1724-1793) war einer der Wagenschmiede, die einen bemerkenswerten Beitrag zum Wiederaufbau der Stadtkirche und ihres Turms leisteten.
Nicht zuletzt ist das Kleindenkmal in der Mittelbachstraße ein schützenswertes, weil interessantes und bedeutsames Relikt der Stadtgeschichte Aalens.
Bach satt in der Aalener Stadtkirche