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Ostalbkliniken: Wie krank ist unsere Pflege?

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Von: Bea Wiese

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Pflegekräfte im Krankenhaus werden seit Jahren immer stärker belastet. Das hat Folgen - nicht nur für ihre persönliche Motivation, diesen Beruf weiter auszuüben.
Pflegekräfte im Krankenhaus werden seit Jahren immer stärker belastet. Das hat Folgen - nicht nur für ihre persönliche Motivation, diesen Beruf weiter auszuüben. © pikselstock - stock.adobe.com

Betriebsseelsorgerin Tomanek: immer mehr Burn-out-Fälle beim Pflegepersonal. Beschäftigte an den Ostalbkliniken kämpfen mit wachsender Belastung. Das sind die Folgen.

Aalen

Dieser Satz lässt aufhorchen: Immer mehr Männer und Frauen des Pflegepersonals in den Kliniken seien überlastet, die Zahl der Burn-out-Fälle nehme zu, verkündete Karolina Tomanek, Betriebsseelsorgerin der Katholischen Kirche, bei einer Demonstration anlässlich des Warnstreiks der Gewerkschaft Verdi. Ein Blick in die Kliniken Ostalb:

Krankes Pflegepersonal: Die Fehltage in den Ostalbkliniken sind durchschnittlich von 2019 - vor der Pandemie - bis Ende 2022 um fünf Tage je Pflegekraft gestiegen. „Dies entspricht einer Steigerungsquote von 27 Prozent“, schildert Personalvorständin Sylvia Pansow die Situation.

Auch wenn die Quote von Fehlzeiten aufgrund psychischer Probleme statistisch aus Datenschutzgründen nicht erfasst werde - „Erkrankungen mit psychosomatischen Fragestellungen“ hätten definitiv zugenommen. Pansow: „Hierzu gibt es viele Anfragen in unserer Abteilung Psychosomatik. Dies führt dazu, dass Mitarbeiter ihre Arbeitszeit reduzieren, kündigen oder langzeiterkrankt sind.“ Die Quote der Langzeitkranken über alle Beschäftigten in der Pflege liege etwa bei neun Prozent.

Beratung gefragt: In die Beratungsstelle der Betriebsseelsorge im Haus der Katholischen Kirche in Aalen kämen zunehmend Menschen aus dem Gesundheitswesen, vornehmlich aus der Pflege, die von psychischen und psychosomatischen Beschwerden berichten, so Karolina Tomanek. Durchschnittlich seien das etwa zwei jede Woche, mehr Frauen als Männer. In der offenen Selbsthilfegruppe „Burn-out“, die Tomanek auch betreut, kommen regelmäßig etwa sechs bis acht Betroffene zusammen, zurzeit mehr Männer als Frauen.

Die Beschwerden: Kopfschmerzen, Herzrasen, Ein- und Durchschlafprobleme trotz Müdigkeit, „selbst wenn man schläft, erholt man sich nicht. Man kann nicht mehr abschalten, der Körper ist die ganze Zeit in Alarmbereitschaft“, beschreibt Karolina Tomanek das, was ihr die Hilfesuchenden berichten.

Die Situation in der Pflege: Wer einen Pflegeberuf ergreife, tue dies oftmals mit dem Motiv, Menschen unterstützen zu wollen, „physisch wie emotional“, schildert die studierte Theologin Tomanek. Doch der Arbeitsalltag gerade in den Kliniken werde ihr oft anders geschildert: unaufhörlicher Zeitdruck, zu wenig Zeit für die Arbeit am Patienten. Die, die dort einen Job haben, „stehen unter ständiger Überlastung. Wenn Kolleginnen und Kollegen krank sind, man muss ständig einspringen, Überstunden machen, wird oft aus dem Urlaub oder aus freien Tagen zum Arbeiten geholt.“

Ein Phänomen, das die für Personal zuständige Vorständin Sylvia Pansow für die Ostalbkliniken bestätigt: Auch wenn „Überlastung“ individuell unterschiedlich zu bewerten sei – „anhand der Kennzahlen wie Überstunden, Fehlzeiten, Holen aus dem Frei, ständig steigendem Dokumentationszwang, Digitalisierungsdruck, Kostendruck etc. können wir davon ausgehen, dass die Belastung für alle im Gesundheitswesen beschäftigten Mitarbeiter in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen ist.“

Insgesamt, über alle Standorte/Stationen/Bereiche hinweg, würden Mitarbeitende durchschnittlich 300 Mal im Monat aus einem freien Tag oder Urlaub geholt. Pansow: „Dies bedeutet, etwa 16 Prozent der Beschäftigten werden im Monat aus dem Frei geholt. Im Durchschnitt müssen unsere Mitarbeitenden einen Tag im Monat Mehrarbeit bzw. Überstunden leisten.“

Die Ursachen: Die Betriebsseelsorgerin Karolina Tomanek kritisiert solche Zustände hart, nennt sie „ein toxisches Arbeitsumfeld“. Die Hauptursachen für diese Situation sieht Personalvorständin Sylvia Pansow in fehlenden Personalressourcen und Stellen, die aufgrund des Fachkräftemangels nicht besetzt werden können. Etwa 80 bis 100 Stellen in der Pflege seien derzeit vakant.

Neues Angebot der Kliniken Ostalb: Seit dem vierten Quartal 2022 wird den Mitarbeitenden „psychosoziale Beratung bei psychologischer Belastung im beruflichen Kontext“ angeboten, in Kooperation mit einer selbstständigen psychologischen Psychotherapeutin. Der Arbeitgeber übernimmt bis zu fünf Sitzungen. Außerdem werden drei freie Tage im Monat angeboten. Insgesamt, sagt Sylvia Pansow, hätten 17 Personen seit November das Angebot angenommen (Stand Februar 2023).

Was sich ändern müsste: Ständige Mehrarbeit, unzuverlässige Dienstpläne wegen der krankheitsbedingten Ausfälle, das alles belaste das Personal, sagt Vorständin Sylvia Pansow. Die aus ihrer Sicht „zwingende“ Reform im Gesundheitswesen dauere zu lange. Stattdessen gebe es nahezu täglich „Gesetzesänderungen, Qualitätsvorgaben mit Umsetzungsdruck und Sanktionsvorschriften“.

Betriebsseelsorgerin Karolina Tomanek fordert: weniger Sparmaßnahmen beim Personal sowie Nachwuchskräfte anwerben und diese gut ausbilden. Wichtig sei auch eine bessere Bezahlung. „Der Beruf wäre dann attraktiver. Und angemessener Lohn ist ja auch eine Form von Wertschätzung.“

Krankenstandsstatistik und Hilfsangebote

Die Statistik: Im Fehlzeitenreport der AOK für den Ostalbkreis im Jahr 2022 führen die Beschäftigten im Gesundheits- und Sozialwesen mit 7,7 Prozent die Krankenstandsstatistik an. Im Jahr 2021 lag diese Personengruppe noch auf Platz 3 mit 5,9 Prozent. Ein Anstieg, der „relevant“ sei, sagt AOK-Pressesprecher Oliver Beyer.

Gründe: Bei den Ursachen der Krankschreibungen lagen psychische Erkrankungen mit 3,2 Prozent der Krankheitsursachen stabil auf Platz fünf (Vorjahr: 4,4 Prozent). Die Krankheitsdauer lag durchschnittlich bei 9,2 Tagen. Langzeiterkrankte - hier wird allerdings nicht nach Krankheitsursachen getrennt - waren durchschnittlich 32,4 Tage „außer Gefecht“.

Burn-out-Prävention: Die AOK bietet ihr Achtsamkeitstraining „Lebe Balance“ an. Es bringe Ruhe und Ausgeglichenheit ins Leben. Mehr Infos online: https://www.aok.de/pk/gesundheitskurse/stressbewaeltigung/lebe-balance/

Die AOK hat mit 44 Prozent und 177 000 Versicherten den größten Marktanteil unter den Krankenkassen in Ostwürttemberg.

Selbsthilfegruppe Burn-out: Treffen jeden 3. Donnerstag im Monat, 18 bis 19.30 Uhr, im Haus der Katholischen Kirche in Aalen. Die Teilnahme ist kostenlos und offen für alle.

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