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Schlaganfall: "Die Uhr beginnt sofort zu ticken"

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Von: Dagmar Oltersdorf

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Dr. Eric Jüttler ist Chef der Aalener Neurologie. "Die Uhr beginnt sofort zu ticken", sagt er zum Thema Schlaganfall.
Dr. Eric Jüttler ist Chef der Aalener Neurologie. "Die Uhr beginnt sofort zu ticken", sagt er zum Thema Schlaganfall. © Oltersdorf, Dagmar

Der Chefarzt der Aalener Neurologie Dr. Eric Jüttler über Symptome und Therapie von Schlaganfällen. Warum seiner Meinung nach ein Zentralklinikum die Schlaganfall-Versorgung im Ostalbkreis verbessern könnte.

Dr. Eric Jüttler ist Chef der Aalener Neurologie. "Die Uhr beginnt sofort zu ticken", sagt er zum Thema Schlaganfall.
Dr. Eric Jüttler ist Chef der Aalener Neurologie. "Die Uhr beginnt sofort zu ticken", sagt er zum Thema Schlaganfall. © Ostalb Klinikum

Aalen

Die Zahl ist hoch. Zwischen 600 und 700 Schlaganfallpatienten werden jährlich allein am Ostalb-Klinikum behandelt, weitere 500 am Stauferklinikum Mutlangen. Diese Zahlen nennt der Chefarzt der Aalener Neurologie Dr. Eric Jüttler. Aufgenommen und versorgt werden diese in einer so genannten "Stroke Unit", einer Schlaganfallüberwachungsstation. In Aalen gibt es derzeit in dieser acht Betten,  in Mutlangen weitere sechs. Das klingt nach wenig angesichts einer hohen Zahl von Patienten. Darüber und über die Versorgung von Schlaganfallpatienten im Ostalbkreis und warum ein Regionalversorger im Ostalbkreis auch die Versorgung von besonders schweren Fällen verbessern könnte, spricht Dr. Eric Jüttler im Interview mit Dagmar Oltersdorf.

Herr Dr. Jüttler, 14 Betten für umgerechnet durchschnittlich rund 100 Schlaganfallpatienten im Monat, reicht das aus?Dr. Eric Jüttler: Ja, das ist ausreichend. Das liegt daran, dass die Akutversorgung von Schlaganfallpatienten nur ganz wenige Tage auf der Station erfolgt. Ganz leichte Schlaganfälle mit einer kurzzeitigen Durchblutungsstörung im Gehirn, einer TIA,  bei der kein bleibender Schaden entsteht, sind in der Regel nur 24 Stunden auf Station.  Leichte Schlaganfälle bleiben zwei bis maximal drei Tage, schwere auch mal länger. Aber bei allen sind es nur wenige Tage - außer es kommt zu Komplikationen wie beispielsweise einer Lungenentzündung. Der Durchlauf ist sehr hoch - ebenso die Therapie und Diagnostik. Das geht sehr schnell, auch am Wochenende. Da ist die Besetzung auf der Station gleich, um die Patienten so schnell wie möglich rehafähig zu bekommen. 

Therapie und Diagnostik - was bedeutet das?Die Therapieziele sind klar definiert. Erstens: Der Schlaganfall soll sich nicht verschlechtern und auch nicht wiederholen. Zweitens: Wir wollen keine Komplikationen wie Thrombosen, Pneumonien und andere Infekte. Drittens: wir wollen eine schnelle Diagnostik, um zu wissen, woher der Schlaganfall kommt. Das alles in ein bis drei Tagen. Das entspricht dem deutschen Stroke-Unit-Modell, das in der Schweiz und in Österreich ähnlich ist.  Dazu gehört eine intensive Pflege dazu - pro Bett zwei Pflegekräfte. Es gibt einen Arzt, der nur Schlaganfall-Patienten hat und auch nur die versorgen darf. Morgens, spät, nachts plus ein Oberarzt. Vier Ärzte für acht Patienten also.

Wo acht Betten sind, kann man doch auch noch ein neuntes Bett reinschieben, wenn nötig. Oder nicht?Da brauchen sie auch das Personal dazu. Ich kann nicht einfach einen Patienten dazunehmen und dann kann ihn niemand versorgen. Einfach mal mitmachen, das geht nicht. Die Pflege widmet sich sehr intensiv und aktivierend diesem Patienten. Wenn ich mich eine Stunde lang um einen Patienten kümmere, dann kann ich nicht noch einen zweiten dazu nehmen. Entweder schaue ich den gar nicht an oder jeden nur eine halbe Stunde. Das wäre aber schlecht. Wir wollen wie gesagt schnell sein, auch, damit es schnell in die Reha gehen kann. Das schaffen sie aber nur, wenn sie sich ganz speziell nur um dieses Thema kümmern. Wenn sie eine gemischte Station haben, wo ein Patient eine neue Hüfte bekommen hat, der nächste eine Lungenentzündung und der dritte einen Schlaganfall, dann funktioniert das nicht. Dann kennt sich die Pflege nicht speziell aus, der Arzt auch nicht, dann dauert das länger. Es müssen immer die gleichen Kräfte sein, mit einer speziellen Ausbildung. Deshalb gibt es spezielle Stationen mit klaren Kapazitäten. 

Die haben Sie auch alle an der Klinik?Das haben wir im Moment leider nicht durchgängig immer mit unseren eigenen Personal. Wir haben externe Honorarärzte, die uns hier unterstützen. Nachts darf der Arzt auch die Schlaganfall-Station verlassen und andere Patienten in der Notaufnahme behandeln, das ist erlaubt. Aber tagsüber darf er das 12 Stunden lang nicht. Hinzu kommt auch während des kurzen Aufenthaltes ein hoher therapeutischer Aufwand. Physiotherapie, Logopädie und Ergotherapie muss jeden Tag stattfinden, also auch Samstag und Sonntag. Das ist wichtig, auch für die Zertifizierung.

Wie steht es denn um die Schlaganfall-Versorgung in Deutschland generell?Die ist exzellent. Was zum Teil nicht ganz einfach ist, weil wir regional ganz unterschiedliche Voraussetzungen haben, was Krankenhausdichte betrifft, die Dichte von Rettungshubschraubern, die Standorte von Rettungswagen, die Wohnstandorte. Die Versorgung ist relativ einfach in den Ballungszentren zu organisieren, weil da die Entfernungen viel geringer sind. Im ländlichen Raum ist das schwerer. Das funktioniert aber - übrigens auch in kleinen, schwer zugänglichen Tälern im Schwarzwald. Manchmal muss man einen Hubschrauber nehmen, in den meisten Fällen aber nicht, weil man die Patienten schneller mit dem Rettungswagen transportieren kann. Das Problem bei den Schlaganfall-Patienten ist auch nicht, dass sie nicht schnell genug in die Klinik transportiert werden. Oder dass man in der Klinik zu lange braucht, um den Schlaganfall zu erkennen und zu behandeln. Das Hauptproblem ist, dass 70 Prozent der Schlaganfall-Patienten zu spät in die Klinik kommen, weil der Schlaganfall vom Patienten meist nicht als Schlaganfall erkannt und wahrgenommen wird.

Wissen wir immer noch nicht genug darüber?Tatsächlich kennen die meisten Patienten die typischen Symptome eines Schlaganfalls nicht. Hinzu kommt: der Schlaganfall tut in der Regeln nicht weh, der Patient hat keine Schmerzen. Anders als beispielsweise bei einem Herzinfarkt, bei dem man keine Luft mehr bekommt, man Todesangst hat aufgrund der Schmerzen auf der Brust. Der Schlaganfall-Patient kann seinen Arm nicht mehr bewegen und denkt sich: was ist denn jetzt los? Warum ist denn der Arm so taub? Habe ich mich verlupft? Dann macht er erst mal nichts. Würde dieser Arm höllische Schmerzen verursachen, würde er wahrscheinlich den Notarzt rufen. Also erkennt er es erst zu spät, oft einen Tag später, wenn der Hausarzt aufgesucht wird und dieser ihn in die Klinik einweist. Noch problematischer sind kleine Schlaganfälle, bei den oft der Arm nur zehn Minuten lang nicht funktioniert und es dann wieder vorbei ist. Zwei Wochen später bekommt man dann einen richtigen Schlaganfall, weil man die Ursache nicht richtig erkannt hat und nicht zum Arzt gegangen ist. Trotz aller Aufklärungskampagnen hat sich da in den letzten 25 Jahren kaum was geändert: nur 30 Prozent kommen rechtzeitig. 

Könnte sich da noch was ändern?Da bin ich mir nicht so sicher. Wir machen relativ viel. Es ist ja nicht eines der Themen, mit denen sie abends sprechen, wenn sie mit den Freunden zusammensitzen. Das ist unangenehm. Man will sich nicht mit Krankheit oder dem eigenen Tod befassen. Wenn ich Laienvorträge halte und die typischen Symptome abfrage, dann kommt als Antwort Schwindel und Kopfschmerz oder gar nichts. Typische Schlaganfallsymptome sind aber Lähmungen an Arm und Bein oder wenn das Gesicht an einer Seite herunterfällt. Koordinationsstörungen, Sehstörungen und Sprach- und Sprechstörungen. Diese Symptome treten von einer Sekunde auf die andere auf, deshalb heißt es auch Schlaganfall. Eine schmerzlose, plötzliche, Sprach-Sprechstörung oder Lähmung ist hochverdächtig auf einen Schlaganfall. 

Was mache ich, wenn ich den Verdacht auf einen Schlaganfall habe? Dann rufe ich die 112, den Notarzt. Die Uhr beginnt sofort an zu ticken. Hauptsache, der Patient kommt sofort in eine Klinik, in der die therapeutischen und diagnostischen Voraussetzungen so sind, dass man diesen Schlaganfall auch gleich behandeln kann. Bei uns sind das das Ostalb-Klinikum Aalen und das Stauferklinikum Schwäbisch Gmünd. Dann Heidenheim, Göppingen, Winnenden, Ansbach, Günzburg als die nächsten. Jeder Patient ist unterschiedlich, jeder Schlaganfall sehr individuell. Wir haben Schlaganfälle, bei denen sie schon nach einer Stunde nichts mehr machen können. Beispielsweise bei einer Hirnblutung. Wenn also ein Schlaganfall-Patient eingeliefert wird, dann machen wir zunächst eine kurze Anamnese.  Wir wissen schon vorher, dass ein Patient kommt, wir werden vorab informiert. Das bekommt dann höchste Priorität. Zuerst müssen wir wissen, wann die Symptome aufgetreten sind.  Der Patient kann nachts um drei den Schlaganfall gehabt haben, der Ehefrau ist das aber erst morgens um 8 aufgefallen. Dann geht es ins CT. Im CT oder im Kernspin kann man ziemlich genau sehen, wann der Zeitpunkt des Schlaganfalls war, falls das unklar ist. Wir haben 24 Stunden lang an jedem Tag im Jahr zwei  CTs im Haus und wenn dann da jemand gerade mit einem gebrochenen Arm drinsteckt, dann muss der da eben raus. Das ist wichtig, weil bestimmte Therapien nur in Frage kommen, wenn ich weiß, wann der Schlaganfall passiert ist.

Können Sie das genauer erklären? Es gibt die medikamentöse Therapie, bei der man versucht, das Blutgerinnsel aufzulösen. Das ist zugelassen bis zu viereinhalb Stunden nach dem Schlaganfall. Bei manchen Patienten funktioniert das aber schon nach zwei Stunden nicht mehr, weil z.B. das Blutgerinnsel zu groß ist. Dann kann das Medikament nicht richtig wirken, vielleicht sogar eher schaden. Jedes Medikament hat Nebenwirkungen. Und es gibt auch Kontraindikationen. Es ist also eine sehr individuelle Therapie. Die zweite Möglichkeit ist es, das Blutgerinnsel herauszuziehen. Diese Möglichkeit haben wir in Aalen nicht. Die nächste Klinik, in der das möglich ist, ist das Bundeswehrkrankenhaus in Ulm, die Ulmer Uniklinik oder das Katharinen Hospital in Stuttgart. In Ulm gibt es im RKU aber nur ein Katheterlabor. Wenn da gerade zeitgleich jemand behandelt wird, dann dauert das ein bis zwei Stunden. Es kann also sein, dass man dort sagt: es geht gerade nicht. Dann rufen wir in Stuttgart an, die haben mehrere Katheterplätze. Das klappt dann fast immer - ich kann mich nur an einmal in zehn Jahren erinnern, dass es nicht ging.  Für diese sogenannte Thrombektomie baucht man einen Neuroradiologen mit einer Spezialausbildung, den gibt es eben nur an größeren Kliniken. Ulm ist hier also unsere erste Anlaufstelle, weil Stuttgart etwas weiter ist und verkehrstechnisch schwieriger zu erreichen. Der Transport dorthin dauert 10 bis 15 Minuten länger. Der Transport mit dem Hubschrauber wiederum noch mal länger, weil dieser ja erst aus Ulm, Dinkelsbühl oder Stuttgart angefordert wird. Mit dem Rettungswagen geht es gleich los. 

Würde eine einzelne größere Klinik für den Ostalbkreis denn Ihrer Meinung beispielsweise in der Schlaganfallversorgung was verändern? Ja, das denke ich. Wenn sie ein Klinikum mit einem Volumen von 1200 Schlaganfallpatienten haben, nicht 500 und maximal 700, dann haben sie genauso viele wie Ulm. Dann lohnt es sich, einen Katheterplatz zu haben. Dann lohnt sich der Neuroradiologe, der dann hier die Masse an Patienten hat. Ulm und der Alb-Donaukreis haben zusammen nicht mal so viele Einwohner wie der Ostalbkreis zusammen, und dort gibt es mit dem Bundeswehrkrankenhaus zusammen mehrere Katheterplätze und Neuroradiologen. Wir wollen eine optimale Versorgung. Dies bedeutet für mich ein Regionalversorger im Ostalbkreis. Sie müssen bestimmte Fallzahlen vorweisen, um Sachen gut zu können. Wenn ich etwas jeden Tag mache, dann kann ich das besser. Die Ressource Mensch kann ich nur vorhalten, wenn ich konzentriere. Man bekommt gute Ärzte auch nur in eine Klinik, wenn die sich sagen: das ist modern, das ist neu, hier habe ich sehr gute Entwicklungsmöglichkeiten und Perspektiven.

 

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