Bei UN-Rede

Baerbock attackiert Putin, China und den Iran –„Nuklearwaffen bittere Realität“

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Der Abschied der Welt von Atomwaffen ist seit dem Ukraine-Krieg in weite Ferne gerückt. Trotzdem warb Baerbock jetzt genau dafür - und wetterte gegen Russland, China und Nordkorea.

New York - Bei den Vereinten Nationen in New York ging es am Montag, 1. August, um das große Ziel, Atomwaffen weltweit zu reduzieren: Außenministerin Annalena Baerbock nahm an der UN-Konferenz zur Überprüfung des Atomwaffen-Sperrvertrags teil. Sie warb trotz des schwelenden Ukraine-Kriegs für nukleare Abrüstung und attackierte Atommächte wie Russland, China und Nordkorea scharf.

Außenministerin Annalena Baerbock bei der Generaldebatte der UN zum Nuklearen Nichtverbreitungsvertrag.

Baerbock bei UN-Rede kämpferisch: Gerade in schwierigen Zeiten Flagge gegen Atomwaffen zeigen

Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine, die atomaren Drohgebärden Nordkoreas und der Ausbau des iranischen Atomprogramms ließen die Angst vor einem Atomkrieg zuletzt wieder wachsen. Baerbock sagte bei einem Statement vorab ihrer Rede, sie sei nach New York gereist, um gerade in solch einem schwierigen Situation Flagge zu zeigen und deutlich zu machen, dass Deutschland für die Nichtverbreitung von Atomwaffen einstehe.

Man lebe derzeit in einer Welt, in der „Staaten wie Russland oder Nordkorea offensiv auch mit Atomwaffen drohen, wo Arsenale wieder angereichert und wo Staaten wie Iran zur nuklearen Abschreckung greifen wollen.“ Baerbock sagte dazu bei ihrer auf Englisch gehaltenen Rede bei der UNO kämpferisch: „Jetzt ist es an der Zeit, das zu verteidigen, was die Generation vor uns erschaffen hat.“

Atomwaffensperrvertrag

Das mehr als 50 Jahre alte Abkommen über die Nichtverbreitung von Kernwaffen (NVV), dem 191 Staaten beigetreten sind, bildet die Grundlage für atomare Abrüstung weltweit. Es besagt, dass nur die USA, Russland, China, Frankreich und Großbritannien Atomwaffen besitzen dürfen. Die vier anderen mutmaßlichen Atommächte Indien, Pakistan, Israel und Nordkorea sind dem Vertrag entweder nicht bei- oder wieder ausgetreten. Ziel des Vertrags ist es, die Verbreitung von Atomwaffen zu verhindern, nukleare Abrüstung voranzutreiben und die friedliche Nutzung von Kernenergie zu fördern.

Alle fünf Jahre ist eine Überprüfung des Erreichten vorgesehen. Die zehnte Überprüfungskonferenz sollte bereits 2020 stattfinden, wurde wegen der Corona-Pandemie aber verschoben, und läuft nun bis zum 26. August. Die atomare Abrüstung war schon vor Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine ins Stocken geraten. Jetzt wird die Reduzierung der knapp 13.000 Atomwaffen weltweit noch schwerer.

Baerbock bei UN-Rede: Nukleare Abschreckung der Nato kein Widerspruch zu Abrüstung

Deutschland besitzt selbst keine Atomwaffen, beteiligt sich aber an der nuklearen Abschreckung der Nato: In Rheinland-Pfalz sind nach Expertenschätzungen bis zu 20 US-Atombomben stationiert, die im Ernstfall von Kampfjets der Bundeswehr eingesetzt werden sollen. Noch vor einem Jahr forderte Baerbock vehement, die US-Atomwaffen aus Deutschland abzuziehen. Dies ist jetzt offenbar vom Tisch. Der „Einsatz für nukleare Abschreckung und nukleare Nichtverbreitung“ zugleich sei in diesen Zeiten jedoch kein Widerspruch, sagte Baerbock am Montag. Und: „Der brutale Angriffskrieg Russlands macht deutlich, dass Nuklearwaffen leider eine bittere Realität sind.“

Baerbock kritisierte dennoch Atommächte wie Russland und China in ihrer Rede scharf - am schärfsten Russland, das seit dem Beginn des Ukraine-Kriegs immer wieder direkt oder indirekt mit dem Einsatz von Atomwaffen droht. Putin habe wiederholt „rücksichtslose nukleare Rhetorik“ verwendet, mit der er die Bemühungen der letzten 50 Jahre um die Eindämmung von Atomwaffen aufs Spiel setze, sagte Baerbock. Mit der Ukraine habe Russland zudem ein Land ohne Atomwaffen angegriffen und damit frühere Zusicherungen „brutal verletzt“.

Baerbock kritisiert China, Iran und Nordkorea

Das Ziel einer nuklearen Abrüstung müsse weiter verfolgt werden, betonte die Grünen-Politikerin. Dies gelinge aber nur, wenn alle Atommächte „glaubhafte Schritte“ unternähmen. China dagegen baue seine Atomwaffen-Arsenale aus. „Wenn wir heute die Flagge der nuklearen Abrüstung einholen würden, wären der Atomwaffen-Sperrvertrag und alles, wofür er steht, tot.“ Daher setze sie sich für eine Stärkung der Internationalen Atomenergiebehörde ein.

Auch das iranische Atomprogramm gebe Anlass zu großer Sorge, so Baerbock: „Der Iran hat für viele nukleare Aktivitäten keine Rechtfertigung.“ Kein Nicht-Kernwaffen-Staat brauche bis zu 60 Prozent angereichertes Uran. Sie fordere daher den Iran „dringend“ auf, das Atomabkommen zu unterzeichnen.

Deutlich attackierte die deutsche Außenministerin auch Nordkoreas Atomwaffenprogramm. „Wir brauchen eine Denuklearisierung der nordkoreanischen Halbinsel und die Umsetzung aller einschlägigen Resolutionen des UN-Sicherheitsrats“, so Baerbock.

China und Taiwan: Darum geht es in dem Konflikt

Taiwans F-16-Kampfjet (links) überwacht einen der beiden chinesischen H-6-Bomber, die den Bashi-Kanal südlich von Taiwan und die Miyako-Straße in der Nähe der japanischen Insel Okinawa überflogen.
Seit Jahrzehnten schon schwelt der Taiwan-Konflikt. Noch bleibt es bei Provokationen der Volksrepublik China; eines Tages aber könnte Peking Ernst machen und in Taiwan einmarschieren. Denn die chinesische Regierung hält die demokratisch regierte Insel für eine „abtrünnige Provinz“ und droht mit einer gewaltsamen „Wiedervereinigung“. Die Hintergründe des Konflikts reichen zurück bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts. © Taiwan Ministry of Defence/AFP
Chinas letzter Kaiser Puyi
Im Jahr 1911 zerbricht das viele Jahrtausende alte chinesische Kaiserreich. Der letzte Kaiser Puyi (Bild) wird abgesetzt, die Xinhai-Revolution verändert China für immer. Doch der Weg in die Moderne ist steinig. Die Jahre nach der Republikgründung waren von Wirren und internen Konflikten geprägt.  © Imago
Porträt von Sun Yatsen auf dem Tiananmen-Platz in Peking
Im Jahr 1912 gründet Sun Yat-sen (Bild) die Republik China. Es folgen Jahre des Konflikts. 1921 gründeten Aktivisten in Shanghai die Kommunistische Partei, die zum erbitterten Gegner der Nationalisten (Guomindang) Suns wird. Unter seinem Nachfolger Chiang Kai-shek kommt es zum Bürgerkrieg mit den Kommunisten. Erst der Einmarsch Japans in China ab 1937 setzt den Kämpfen ein vorübergehendes Ende. © Imago
Mao Zedong ruft die Volksrepublik China aus
Nach Ende des Zweiten Weltkriegs und der Kapitulation Japans flammt der Bürgerkrieg wieder auf. Aus diesem gehen 1949 die Kommunisten als Sieger hervor. Mao Zedong ruft am 1. Oktober in Peking die Volksrepublik China aus (Bild).  © Imago Images
Chiang Kai-shek
Verlierer des Bürgerkriegs sind die Nationalisten um General Chiang Kai-shek (Bild). Sie fliehen 1949 auf die Insel Taiwan. Diese war von 1895 bis 1945 japanische Kolonie und nach der Niederlage der Japaner an China zurückgegeben worden. Auf Taiwan lebt seitdem die 1912 gegründete Republik China weiter. Viele Jahre lang träumt Chiang davon, das kommunistisch regierte Festland zurückzuerobern – während er zu Hause in Taiwan mit eiserner Hand als Diktator regiert. © Imago
Richard Nixon und Zhou Enlai 1972
Nach 1949 gibt es zwei Chinas: die 1949 gegründete Volksrepublik China und die Republik China auf Taiwan, die 1912 gegründet wurde. Über Jahre gilt die taiwanische Regierung als legitime Vertreterin Chinas. Doch in den 70er-Jahren wenden sich immer mehr Staaten von Taiwan ab und erkennen die kommunistische Volksrepublik offiziell an. 1972 verliert Taiwan auch seinen Sitz in den Vereinten Nationen, und Peking übernimmt. Auch die USA brechen mit Taiwan und erkennen 1979 – sieben Jahre nach Richard Nixons legendärem Peking-Besuch (Bild) – die Regierung in Peking an. Gleichzeitig verpflichten sie sich, Taiwan mit Waffenlieferungen zu unterstützen. © Imago/UIG
Chiang Ching-Kuo in Taipeh
Im Jahr 1975 stirbt Taiwans Dikator Chiang Kai-shek. Neuer Präsident wird drei Jahre später dessen Sohn Chiang Ching-kuo (Bild). Dieser öffnet Taiwan zur Welt und beginnt mit demokratischen Reformen. © imago stock&people
Chip made in Taiwan
Ab den 80er-Jahren erlebt Taiwan ein Wirtschaftswunder: „Made in Taiwan“ wird weltweit zum Inbegriff für günstige Waren aus Fernost. Im Laufe der Jahre wandelt sich das Land vom Produzenten billiger Produkte wie Plastikspielzeug zur Hightech-Nation. Heute hat in Taiwan einer der wichtigsten Halbleiter-Hersteller der Welt - das Unternehmen TSMC ist Weltmarktführer. © Torsten Becker/Imago
Tsai Ing-wen
Taiwan gilt heute als eines der gesellschaftlich liberalsten und demokratischsten Länder der Welt. In Demokratie-Ranglisten landet die Insel mit ihren knapp 24 Millionen Einwohnern immer wieder auf den vordersten Plätzen. Als bislang einziges Land in Asien führte Taiwan 2019 sogar die Ehe für alle ein. Regiert wird das Land seit 2016 von Präsidentin Tsai Ing-wen (Bild) von der Demokratischen Fortschrittspartei. © Sam Yeh/AFP
Xi Jinping
Obwohl Taiwan nie Teil der Volksrepublik China war, will Staats- und Parteichef Xi Jinping (Bild) die Insel gewaltsam eingliedern. Seit Jahrzehnten droht die kommunistische Führung mit der Anwendung von Gewalt. Die meisten Staaten der Welt – auch Deutschland und die USA – sehen Taiwan zwar als einen Teil von China an – betonen aber, dass eine „Wiedervereinigung“ nur friedlich vonstattengehen dürfe. Danach sieht es derzeit allerdings nicht aus. Die kommunistiche Diktatur Chinas ist für die meisten Taiwaner nicht attraktiv. © Dale de la Rey/AFP
Militärübung in Kaohsiung
Ob und wann China Ernst macht und in Taiwan einmarschiert, ist völlig offen. Es gibt Analysten, die mit einer Invasion bereits in den nächsten Jahren rechnen – etwa 2027, wenn sich die Gründung der Volksbefreiungsarmee zum 100. Mal jährt. Auch das Jahr 2049 – dann wird die Volksrepublik China 100 Jahre alt – wird genannt. Entscheidend dürfte sein, wie sicher sich China ist, einen Krieg auch zu gewinnen. Zahlenmäßig ist Pekings Armee der Volksrepublik den taiwanischen Streitkräften überlegen. Die Taiwaner sind dennoch gut vorbereitet. Jedes Jahr finden große Militärübungen statt; die Bevölkerung trainiert den Ernstfall, und die USA liefern Hightech-Waffen.  © Sam Yeh/AFP
Xi Jinping auf einem chinesischen Kriegsschiff
Analysten halten es für ebenso möglich, dass China zunächst nicht zu einer Invasion Taiwans blasen wird, sondern mit gezielten Nadelstichen versuchen könnte, den Kampfgeist der Taiwaner zu schwächen. So könnte Xi Jinping (Bild) eine Seeblockade anordnen, um die Insel Taiwan vom Rest der Welt abzuschneiden. Auch ein massiver Cyberangriff wird für möglich gehalten.  © Li Gang/Xinhua/Imago
Protest in Taiwan
Auch wenn die Volksrepublik weiterhin auf eine friedliche „Wiedervereinigung“ mit Taiwan setzt: Danach sieht es derzeit nicht aus. Denn die meisten Taiwaner fühlen sich längst nicht mehr als Chinesen, sondern eben als Taiwaner. Für sie ist es eine Horrorvorstellung, Teil der kommunistischen Volksrepublik zu werden und ihre demokratischen Traditionen und Freiheiten opfern zu müssen. Vor allem das chinesische Vorgehen gegen die Demokratiebewegung in Hongkong hat ihnen gezeigt, was passiert, wenn die Kommunistische Partei den Menschen ihre Freiheiten nimmt. © Ritchie B. Tongo/EPA/dpa

UN-Generalsekretär warnt vor nuklearer Gefahr - Putin beschwichtigt

UN-Generalsekretär António Guterres mahnte bei der UN-Konferenz, die Welt befinde sich in einer „Zeit nuklearer Gefahr, wie es sie seit dem Höhepunkt des Kalten Krieges nicht mehr gegeben“ habe. „Die Menschheit läuft Gefahr, die Lehren zu vergessen, die in den schrecklichen Feuern von Hiroshima und Nagasaki geschmiedet wurden“. Guterres‘ alarmierende Warnung: Die Welt sei nur ein Missverständnis von der nuklearen Vernichtung entfernt.

Russlands Präsident Wladimir Putin beteuerte am Montag, 1. August, dass er nicht vorhabe, einen Atomkrieg vom Zaun zu brechen. „Wir gehen davon aus, dass es in einem Atomkrieg keine Sieger geben kann und er niemals begonnen werden darf“, schrieb er in einem auf der Webseite des Kremls veröffentlichten Grußwort an die Konferenzteilnehmer. Für Baerbock ist die Konferenz der Auftakt einer dreitägigen Nordamerika-Reise. Am Dienstag hält sie in New York eine Rede zu den transatlantischen Beziehungen und reist abends nach Kanada weiter.

Derweil erhält Russland im Ukraine-Konflikt womöglich bald massive Verstärkung: Nordkorea hat den Truppen von Wladimir Putin offenbar militärische Unterstützung angeboten. (smu mit Material von dpa/AFP)

Rubriklistenbild: © Britta Pedersen/dpa

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