Interview

Expertin deutlich: „China spioniert überall und lässt Ballons wohl auch über Europa fliegen“

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Die USA haben einen mutmaßlichen chinesischen Spionageballon abgeschossen. Die China-Expertin Saskia Hieber sagt im Interview, dass Peking auch uns ausspioniere.

München – Ein angeblicher Spionageballon sorgt seit Tagen für Spannungen zwischen Washington und Peking. US-Außenminister Antony Blinken sagte seinen geplanten China-Besuch ab. Peking wiederum kann die Aufregung nicht verstehen und spricht von einem zivilen „Luftschiff“, das vom Kurs abgekommen sei. Die China-Expertin Saskia Hieber ordnet den Vorfall im Interview ein.

Frau Hieber, dass sich Staaten gegenseitig ausspionieren, ist nichts Ungewöhnliches. Vor allem, wenn es sich um Staaten handelt, die sich als Rivalen betrachten. Warum sorgt nun ausgerechnet ein Ballon für derart viel Wirbel?
Die Beziehungen zwischen den USA und China sind schon länger angespannt, da hat es nicht viel gebraucht, um die Lage zu eskalieren. Ich glaube aber, dass die Amerikaner diesen Vorfall auch aus innenpolitischen Gründen derart instrumentalisieren. US-Präsident Joe Biden steht unter Druck, nachdem vertrauliche Dokumente in seinem Privathaus gefunden wurden, und die Republikaner nutzen diesen Skandal gnadenlos aus, um Biden als schwach darzustellen. Für Biden ist dieser Vorfall jetzt eine prima Gelegenheit, um Stärke zu zeigen. Man wollte nicht nur ein Fähnchen einstecken, sondern einen richtig großen Pfahl einschlagen.
Eines der wenigen Dinge, auf die sich Republikaner und Demokraten einigen können, ist eine unversöhnliche Haltung gegenüber China. Wird da jetzt eine Art Überbietungswettkampf beginnen, wer am härtesten auftritt?
Hoffentlich nicht. Begonnen hat der aktuelle Konflikt mit dem Handelskrieg, den Donald Trump losgetreten hat. Und der schadet beiden Seiten gleichermaßen, den USA und China. Biden hat trotzdem vor Kurzem weiter eskaliert, indem er ein Verbot erlassen hat, hoch entwickelte Chips nach China zu exportieren. Das mag amerikanische Wähler beeindrucken, ist aber ein riesiges Problem für chinesische Firmen und letztendlich auch für die amerikanische Wirtschaft. Und dann ist da noch die chinesische Nähe zu Russland. Es wäre wichtig gewesen, wenn Blinken nach Peking gefahren wäre, um die Gesprächskanäle offenzuhalten. Dass China jetzt diesen Spionageballon losgeschickt hat, war ungeschickt.
Saskia Hieber ist Dozentin für Internationale Politik mit Schwerpunkt Asien-Pazifik an der Akademie für Politische Bildung in Tutzing und Lehrbeauftragte für Internationale Politik – Ostasien an der Universität Regensburg. Zu ihren Forschungsschwerpunkten gehört die Außen- und Verteidigungspolitik der Staaten der Region.

„China investiert seit Jahren viele Milliarden in Rüstung und in Spionage“

China behauptet allerdings, bei dem abgeschossenen Objekt handle es sich gar nicht um einen Spionageballon, sondern um ein ziviles „Luftschiff“, das meteorologischen Zwecken diene.
Das ist unglaubwürdig. China investiert seit Jahren viele Milliarden in Rüstung und in Spionage. Wenn es sich wirklich um einen vorm Kurs abgekommenen Wetterballon gehandelt hätte, warum hat Peking dann keine internationalen Institutionen zur Sicherung des Luftraums informiert? Die Erklärungen Pekings ergeben keinen Sinn.
Die deutsche Bundesregierung prüft derzeit, ob es auch hierzulande ähnliche Vorkommnisse gegeben hat. Halten Sie es für möglich, dass China auch über Deutschland Spionageballons schickt?
Ja. China lässt wohl auch über Europa fliegen. Peking spioniert überall und probiert dabei aus, was technisch möglich ist und wie weit man gehen kann, bis man gestoppt wird. Das sieht man an den chinesischen Polizeistationen in den Hinterzimmern irgendwelcher chinesischer Einrichtungen in Deutschland und anderswo. Da werden die souveränen Rechte Deutschland eindeutig verletzt. Die Bundesregierung muss ganz klar sagen, dass das nicht geht, dass rote Linien überschritten werden.

Chinas Staats- und Parteichef: So stieg Xi Jinping zum mächtigsten Mann der Welt auf

Chinas heutiger Staatschef Xi Jinping (2. von links) mit anderen Jugendlichen im Mao-Anzug
Xi Jinping wurde am 15. Juni 1953 in Peking geboren. Als Sohn eines Vize-Ministerpräsidenten wuchs er sehr privilegiert auf. Doch in der Kulturrevolution wurde er wie alle Jugendlichen zur Landarbeit aufs Dorf geschickt. Das Foto zeigt ihn (zweiter von links) 1973 mit anderen jungen Männer in Yanchuan in der nordwestlichen Provinz Shaanxi. Dort soll Xi zeitweise wie die Einheimischen in einer Wohnhöhle gelebt haben. © imago stock&people
Xi Jinping steht vor der Golden Gate Bridge in San Francisco
Xi Jinping 1985 vor der Golden Gate Bridge in San Francisco: Damals war er als junger Parteichef des Landkreises Zhengding in der nordchinesischen Agrarprovinz Hebei Delegationsleiter einer landwirtschaftlichen Studienreise nach Muscatine im US-Bundesstaat Iowa. Dort nahm die Gruppe nach offiziellen Berichten „jeden Aspekt der modernen Landwirtschaft unter die Lupe“. Anschließend reiste Xi weiter nach Kalifornien. Es war sein erster USA-Besuch. © imago stock&people
Xi Jingping und Peng Liyuan
Zweites Eheglück: Xi Jinping und seine heutige Ehefrau, die Sängerin Peng Liyuan, Anfang 1989. Zu dieser Zeit war Xi Vizebürgermeister der ostchinesischen Hafenstadt Xiamen. Die beiden haben eine gemeinsame Tochter. Xis erste Ehe war nach nur drei Jahren an unterschiedlichen Lebenszielen gescheitert. Seine erste Frau, die Diplomatentochter Ke Lingling, zog in den 1980er-Jahren nach Großbritannien. © imago
Xi Jinping gräbt mit Parteikollegen an einem Damm zur Verstärkung eines Deiches in Fujian
Aufstieg über die wirtschaftlich boomenden Küstenregionen: 1995 war Xi Jinping bereits stellvertretender Parteichef der Taiwan gegenüberliegenden Provinz Fujian – und noch ganz volksnah. Im Dezember 1995 arbeitet er mit an der Verstärkung eines Deiches am Minjiang-Fluss. © Imago/Xinhua
Bundeskanzlerin Angela Merkel zeigt Chinas Vizepräsident Xi Jinping das Regierungsviertel in Berlin
Vizepräsident Xi Jinping 2009 im Kanzleramt bei Angela Merkel: Die deutsch-chinesischen Beziehungen waren unter Merkel relativ eng und von wirtschaftlicher Zusammenarbeit geprägt. Merkel und Xi reisten aus Berlin weiter nach Frankfurt, um die dortige Buchmesse zu eröffnen. China war als Ehrengast geladen. © GUIDO BERGMANN/Pool/Bundesregierung/AFP
Die Vizepräsidenten Xi Jinping aus China und Joe Biden aus den USA halten T-Shirts mit einer Freundschaftsbekundung in die Kamera
Ein Bild aus besseren Zeiten: Aus ihrer jeweiligen Zeit als Vizepräsidenten kamen Joe Biden und Xi Jinping mehrmals zusammen. Im Februar 2012 demonstrierten sie bei einer Reise Xis nach Los Angeles in einer Schule „guten Willen“ zur Freundschaft mit T-Shirts, die ihnen die Schüler überreicht hatten. Damals fehlten Xi nur noch wenige Monate, um ganz an die Spitze der Kommunistischen Partei aufzusteigen. © FREDERIC J. BROWN/AFP
Ein alter Mann in Shanghai schaut auf Xi bei seiner ersten Rede als Parteichef im Fernseher.
Xi Jinping hat es geschafft: Zum Ende des 18. Parteitags am 15. November 2012 wurde Xi als neuer Generalsekretär der Kommunisten präsentiert – und ganz China schaute zu. Xi gelobte in seiner ersten kurzen Rede als Parteichef, die Korruption zu bekämpfen und ein „besseres Leben“ für die damals 1,3 Milliarden Menschen des Landes aufzubauen.  © PETER PARKS/AFP
Der neue Staatschef Xi Jinping geht hinter seinem Vorgänger Hu Jintao zu seinem Platz in der Großen Halle des Volkes in Peking.
Übernahme auch des obersten Staatsamtes: Xi Jinping wurde auf dem Nationalen Volkskongress im März 2013 Präsident und schloß damit den Übergang von seinem Vorgänger Hu Jintao (vorn im Bild) zur Xi-Ära ab. © GOH CHAI HIN/AFP
Chinas Präsident und seine Ehefrau Peng Liyuan gehen über den Flughafen Orly in Paris.
Xi Jinpings Ehefrau Peng Liyuan ist die erste First Lady Chinas, die auch öffentlich in Erscheinung tritt. Hier kommt das Ehepaar zu einem Staatsbesuch in Frankreich an. Die Gattinnen von Xis Vorgängern hatten sich nie ins Rampenlicht gedrängt. Vielleicht auch, weil Maos politisch aktive dritte Ehefrau Jiang Qing nach dem Tod des „Großen Vorsitzenden“ als Radikale verurteilt worden war. © YOAN VALAT/Pool/AFP
Funktionäre der Kommunistischen Partei Chinas auf dem Weg zum Parteitag in Peking
So sehen KP-Funktionäre aus: Delegierte des 19. Parteitags auf dem Weg zur Großen Halle des Volkes in Peking im Oktober 2017. Auf diesem Parteitag gelang es dem Staats- und Parteichef, seine „Xi Jinping-Gedanken zum Sozialismus Chinesischer Prägung in der Neuen Ära“ in die Parteiverfassung aufzunehmen. Er war der erste nach Mao, der zu Lebzeiten in der Verfassung eine Theorie mit seinem Namen platzieren konnte. Einen Kronprinzen präsentierte Xi auf dem Parteitag nicht – entgegen den normalen Gepflogenheiten. © GREG BAKER/AFP
Xi Jinping nimmt in einer Staatslimousine „Rote Fahne“ die Parade zum 70. Jahrestag der Gründung der Volksrepublik China ab.
70 Jahre Volksrepublik China: Staatschef Xi Jinping nahm 2019 in einer offenen Staatslimousine Marke „Rote Fahne“ die Militärparade in Peking zum Jahrestag der Staatsgründung ab. © GREG BAKER/AFP
Wirtschaftsforum in Wladiwostok
Xi Jinping pflegt eine offene Freundschaft zu Russlands Präsidenten Wladimir Putin – bis heute, trotz des russischen Angriffskrieges in der Ukraine. Putin und Xi teilen die Abneigung gegen die von den USA dominierte Weltordnung. Hier stoßen sie 2018 bei einem gemeinsamen Essen auf dem Wirtschaftsforum von Wladiwostok, auf dem sich Russland als Handelspartner und Investitionsziel im asiatischen Raum präsentierte, miteinander an. © Sergei Bobylev/POOL TASS Host Photo Agency/dpa
Xi Jinping besucht im weißen Kittel ein Labor und lässt sich die Impfstoffentwicklung erklären
Ende 2019 brach in China die Corona-Pandemie aus. Im April 2020 informierte sich Xi Jinping in einem Labor in Peking über die Fortschritte bei der Impfstoffentwicklung. Xi ist bis heute überzeugt, dass China die Pandemie besser im Griff hat als der Rest der Welt. Seine Null-Covid-Politik beendet er nicht, wohl auch wegen der viel zu niedrigen Impfquote unter alten Menschen. © Ding Haitao/Imago/Xinhua
Xi Jinpings Konterfei lächelt von einem Teller mit rotem Hintergrund
Auf dem 20. Parteitag im Oktober 2022 ließ sich Xi Jinping zum dritten Mal zum Generalsekretär der Kommunisten ernennen. Damit ist er der mächtigste Parteichef seit Mao Zedong. © Artur Widak/Imago
Manch ein Beobachter fühlt sich derzeit an einen Zwischenfall von 2001 erinnert. Damals ist ein US-amerikanisches Spionageflugzeug nahe der chinesischen Insel Hainan mit einem chinesischen Kampfjet zusammengestoßen, der chinesische Jet-Pilot kam dabei ums Leben …
Das ist lange her. China war damals weder wirtschaftliche Supermacht noch große Militärmacht. Heute ist China der zweitgrößte Player weltweit, egal ob in der Wirtschaft, bei Technologie oder Militär. Die chinesische Marine ist zahlenmäßig die größte der Welt. Wir haben mit ganz anderen Machtstrukturen zu tun als damals. Es quält die Chinesen aber noch immer, dass US-Schiffe und Aufklärungsflugzeuge damals so dicht vor der chinesischen Küste operiert haben und es noch heute tun. Umgekehrt wäre es schlicht unvorstellbar, dass China Spionageflugzeuge oder -schiffe etwa nach Hawaii schickt oder vor die Küste Kaliforniens.

„Im Ukraine-Krieg sehen wir, dass die Vermittlungsangebote Chinas nur heiße Luft sind“

Nach dem Treffen zwischen Xi Jinping und Joe Biden beim G20-Gipfel in Bali im November schien es so, als würden sich die Beziehungen zwischen China und den USA ein wenig entspannen. Ist das jetzt alles zunichtegemacht worden?
Der Gipfel in Bali war nicht viel mehr als ein Hoffnungsschimmer fern am Horizont. Manche haben noch immer die Hoffnung, China könnte sich als verantwortungsvoller Akteur in der Weltpolitik positionieren. Aber im Ukraine-Krieg sehen wir, dass die Vermittlungsangebote Chinas nur heiße Luft sind. Peking ruft zwar zu einer friedlichen Lösung auf, tut aber nichts, damit es dazu kommt. Obwohl der Krieg auch China schadet, vor allem wirtschaftlich. Gleichzeitig verbreitet Peking die immer gleichen Propagandabotschaften, denen weite Teile der Bevölkerung verfallen: dass der Westen den Krieg angezettelt habe.
Es gibt Stimmen in der EU, die sagen, dass diese Krise zum denkbar schlechtesten Zeitpunkt kommt. Weil die USA jetzt über Wochen abgelenkt sein könnten, gleichzeitig aber damit gerechnet wird, dass Russland in der Ukraine schon bald eine Großoffensive starten könnte.
Es steht schon länger die Frage im Raum, ob die USA „two theater warfare“ noch beherrschen, ob sie also an zwei Fronten kämpfen können. Diese Fähigkeit wurde vonseiten der USA als zu teuer angesehen und reduziert. Aber nein, diese Ballon-Affäre wird die USA nicht zu lange ablenken. Das ist bald vorbei, dann steht der Krieg in der Ukraine wieder im Mittelpunkt der US-Politik.

Rubriklistenbild: © Joe Granita/IMAGO

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