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Ballon-Affäre zwischen China und den USA: Was wusste Staatschef Xi Jinping?

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Von: Sven Hauberg

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Immer mehr mutmaßliche Spionageballons tauchen über Amerika auf. Chinas Parteichef Xi war in die Aktion offenbar nicht eingeweiht. Für die Zukunft verheißt das nichts Gutes.

München/Peking – An Tag fünf der Ballon-Affäre dominierte einmal mehr Staats- und Parteichef Xi Jinping Chinas Hauptnachrichten. Man müsse, erklärte Xi am Montagabend gleich zu Beginn der Sendung, „die Grundprinzipien des Marxismus mit der ausgezeichneten traditionellen chinesischen Kultur verbinden“. So ging das minutenlang weiter, wie eigentlich jeden Tag in Pekings staatlich kontrolliertem Fernsehen. Xi hier, Xi da – nur zu dem, was die Menschen weltweit beschäftigt, äußert sich der 69-Jährige quasi nie. Auch zu den vielen mutmaßlichen Spionageballons, die aus China derzeit um die Welt segeln, schweigt Xi beharrlich.

Stattdessen schickt Pekings Propagandaapparat andere an die Front. Im blauen Pressesaal von Chinas Außenministerium tritt seit Tagen Sprecherin Mao Ning vor die internationalen Medien, zunächst noch etwas hilflos, dann zunehmend aggressiv. Der Abschuss des Ballons sei „inakzeptabel und unverantwortlich“, wetterte Mao am Montag. Und sie beharrt auf Chinas Version der Geschichte, die besagt, es handle sich bei den Flugobjekten nicht um Spionageballons, sondern um „zivile Luftschiffe“, die vor allem der Wetterbeobachtung dienten. Im Pentagon sieht man das freilich anders. Die Ballons, die über den USA, Kolumbien, Venezuela und zuletzt Costa Rica entdeckt wurden, hätten nur ein Ziel: andere Länder auszuspionieren.

Ballon-Affäre: Welche Rolle spielt Chinas Staatschef Xi?

Zunehmend stellt sich die Frage, welche Rolle Staatschef Xi Jinping, der auch oberster Militärchef des Landes ist, in der Affäre spielt. Wusste er Bescheid, dass seine Regierung ausgerechnet kurz vor dem geplanten China-Besuch von US-Außenminister Antony Blinken mehrere Ballons in Richtung Amerika segeln ließ? Viele Experten, auch aus den USA, halten das für unwahrscheinlich. Er glaube, dass Xi von „Beamten auf niedriger Ebene“ über die Vorgänge nicht informiert worden sei, sagt etwa Derek J. Grossman, Sicherheitsexperte bei der US-Denkfabrik RAND Corporation.

Für diese Lesart spricht, dass Chinas sonst so scharfzüngige Wolfskrieger-Diplomaten in den vergangenen Wochen auffallend still geblieben sind. Zwar erklärte Außenamtssprecherin Mao Ning noch vor wenigen Tagen, die USA seien für den Ukraine-Krieg verantwortlich; gleichzeitig aber bemüht sich der neue chinesische Außenminister Qin Gang offensichtlich um einen neuen Ton in Richtung Washington. So wurde unlängst Zhao Lijian, über Jahre der aggressivste Sprecher in Pekings Außenministerium, auf einen anderen Posten versetzt. Qin selbst war zudem bis vor Kurzem chinesischer Botschafter in Washington. „Ich verlasse die Vereinigten Staaten in der Überzeugung, dass die Tür zu den Beziehungen zwischen China und den USA offen bleiben wird und nicht geschlossen werden kann“, schrieb er kurz vor seinem Wechseln ins Pekinger Außenministerium in einem Zeitungskommentar.

Xi Jinping ist seit 2012 Chef der Kommunistischen Partei Chinas, ein Jahr später wurde er Präsident des Landes.
Xi Jinping ist seit 2012 Chef der Kommunistischen Partei Chinas, ein Jahr später wurde er Präsident des Landes. © Ramil Sitdikov/Imago

Dass Chinas Staatsführung die USA ausgerechnet jetzt mit einem gezielten Spionageangriff für Unmut in Washington sorgen will, erscheint angesichts solch milder Töne unwahrscheinlich. Zumal das Land derzeit mit vielen hausgemachten Problemen zu kämpfen hat: den Nachwehen der Corona-Pandemie, einer schwächelnden Wirtschaft, der Blase auf dem Immobilienmarkt. In derart krisenhaften Zeiten, sagt der US-Analyst Ryan Hass von der Denkfabrik Brookings Institution, wolle Chinas Regierung normalerweise „ihrem Volk das Bild vermitteln, dass ihr im Ausland Würde und Respekt entgegengebracht wird“. Das ging nun allerdings gründlich schief.

Mutmaßliche Spionageballons über den USA: Nicht die erste Fehleinschätzung von Xi Jinping

Im vergangenen Oktober wurde Xi auf dem Parteitag von Chinas Kommunisten ein zweites Mal im Amt bestätigt. Im Politbüro, Pekings Machtzentrale, sitzen seitdem nur noch loyale Jasager. Das ganze Land aber hat Xi dennoch nicht unter Kontrolle. Vor allem in den weit entfernten Provinzen ist Pekings Macht begrenzt. „Der Himmel ist hoch und der Kaiser weit weg“, heißt es in einem chinesischen Sprichwort. Aber auch in der Hauptstadt scheinen die Dinge manchmal aus dem Ruder zu laufen – Xi wurde von der Ballon-Affäre offenbar genauso überrascht wie der Rest der Welt. Zumindest gibt es derzeit keine Anzeichen, dass Xi von den Ballons wusste.

Es ist nicht das erste Mal, dass Xi Jinping die Lage ganz offensichtlich falsch eingeschätzt hat. Kurz vor Beginn des Ukraine-Kriegs traf er sich noch demonstrativ mit Russlands Präsidenten Wladimir Putin – scheinbar in Unkenntnis über die wahren Pläne der Russen. Auch die Demonstrationen gegen seine Null-Covid-Politik haben Xi kalt erwischt. Im Oktober hatte Xi die ständigen Lockdowns als alternativlos verkauft, ein paar Wochen später, nachdem Tausenden Menschen im ganze Land auf die Straße gegangen waren, hob er von einem Tag auf den anderen sämtliche Pandemie-Maßnahmen auf. Durchdachte Politik sieht anders aus.

Für die Zukunft verheißt das nichts Gutes. Etwa in Hinblick auf die Taiwan-Krise, die im vergangenen Sommer weiter eskalierte. China betrachtet das demokratisch regierte Land als abtrünnige Provinz und strebt die „Wiedervereinigung“ mit Taiwan an, notfalls auch mit Gewalt. Die USA wiederum würden Taiwan wohl verteidigen, sollte China wirklich angreifen. In einer derart angespannten Lage wäre es fatal, wenn eine Seite überreagieren würde. Der Ballon-Vorfall aber zeige, dass in China „die Sicherheitskoordinierungsprozesse zur Verhinderung solcher Vorfälle noch nicht so funktionieren, wie sie es müssten“, sagte ein ehemaliger Mitarbeiter des US-Verteidigungsministeriums der New York Times. „Und es wird wieder passieren.“

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