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So schickt China Ballon-Flotten zum Spionieren um die Welt

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Von: Michael Radunski

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Die Aufregung ist groß, seit die USA einen mutmaßlichen chinesischen Spionageballon abgeschossen haben. Kein Einzelfall: China betreibt ein großangelegtes Programm mit den „Luftschiffen“.

Peking – Der Durchbruch gelingt im Jahr 2019 – lange bevor die amerikanischen Streitkräfte einen mutmaßlichen chinesischen Spionage-Ballon vor South Carolina vom Himmel holen und die Weltöffentlichkeit Zeuge wird, wie umfassend Chinas technische Fähigkeiten längst sind. Im August vor vier Jahren offenbart Professor Wu Zhe gegenüber der chinesischen Zeitung Nanfang Daily seinen Erfolg: Mit dem „Wolkenjäger“ habe erstmals ein unbemanntes Luftschiff in Höhen von 20 bis 60 Kilometern die Erde umkreist – inklusive Nordamerika. Der Dekan eines Forschungsinstituts in Peking hat eine klare Vision: lenkbare Ballons in den sogenannten nahen Weltraum schicken, um mit ihnen frühzeitig vor Naturkatastrophen zu warnen, Umweltverschmutzung zu überwachen oder auch Luftüberwachung durchzuführen.

Wu Zhe gehört zu den führenden Wissenschaftlern in der chinesischen Luft- und Raumfahrtforschung. Er forscht an der Beijing University of Aeronautics and Astronautics. Seit fast zwei Jahrzehnten arbeitet er in der Luftschiffentwicklung – einem Programm, das seit wenigen Wochen die Weltöffentlichkeit in Staunen versetzt.

„Chinas Ballonprogramm umfasst mehr als 200 Höhenballons und wird von der Strategischen Kampfunterstützungstruppe der Volksbefreiungsarmee geleitet“, sagt Carl Schuster von der Hawaii Pacific University im Gespräch mit China.Table. Die PLASSF wurde im Dezember 2015 gegründet und ist eine von fünf Teilstreitkräften der Volksbefreiungsarmee. Ihr Auftrag: die Fähigkeiten der Armee in „informationellen Kriegen“ verbessern, unter anderem mit Ballons. Schuster ist Ex-Militär und forscht heute zu internationalen Beziehungen.

China vs. USA: Der nahe Weltraum als neues Schlachtfeld

Ein Jahr zuvor hatte Staats- und Parteichef Xi Jinping der chinesischen Luftwaffe eine radikale Modernisierung verordnet. Er forderte, „die Luft- und Weltraumintegration zu beschleunigen und ihre offensiven und defensiven Fähigkeiten zu schärfen“. Chinas Militärexperten machen daraufhin den „nahen Weltraum“ als entscheidendes Bindeglied aus. In einem langen Artikel der Militär-Zeitung Jiefangjun Bao aus dem Jahr 2018 heißt es: „Der nahe Weltraum ist zu einem neuen Schlachtfeld in der modernen Kriegsführung geworden.“ Es gehe darum, den Raum in 20 bis 100 Kilometern Höhe zu beherrschen. Der Autor stellt fest: Diese Übergangszone zwischen Luft- und Raumfahrt ist abgesehen von gelegentlichen Durchflügen von Raketen ein bislang von Menschen unerforschter, leerer Raum.

Wie umfassend das Programm ist, zeigt ein Blick darauf, wie viele chinesische Unternehmen in Verbindung mit Chinas Ballon-Programm stehen sollen. Es handelt sich um einen umfassenden zivil-militärischen Komplex. Allein das US-Handelsministerium hat als Reaktion auf den Ballon-Vorfall sechs Unternehmen und ein Forschungsinstitut auf seine Sanktionsliste gesetzt.

Wie wichtig China das Ballon-Programm ist, zeigt ein Artikel für das Magazin Huanqiu vom März 2022. Dort heißt es: „Wer sich in bei Fahrzeugen im nahen Weltraum einen Vorteil verschafft, wird in zukünftigen Kriegen die größere Initiative gewinnen können.“ Seit Xis Forderung im Jahr 2014 hat sich ein umfassendes Programm entwickelt. „Es handelt sich um eine beträchtliche Anstrengung, an der mindestens sechs Unternehmen und ein Forschungsinstitut beteiligt sind“, sagt Timothy Heath von der US-Denkfabrik Rand Corporation zu China.Table. Das chinesische Programm sei derart groß, um mit unzähligen Überwachungsballons mehrere Jahre lang Geheimdienstmissionen in dutzenden Ländern durchzuführen, erklärt der Verteidigungsexperte.

US-Marinesoldaten bergen Anfang Februar die Überreste des mutmaßlichen chinesischen Spionageballons, der zuvor abgeschossen worden war.
US-Marinesoldaten bergen Anfang Februar die Überreste des mutmaßlichen chinesischen Spionageballons, der zuvor abgeschossen worden war. © US Navy/Imago

China schickt Ballons auch nach Taiwan

US-Brigadegeneral Patrick S. Ryder offenbarte diese Woche, dass man in den vergangenen Jahren chinesische Ballons über Lateinamerika, Südamerika, Südostasien, Ostasien und Europa gesichtet habe. „Das ist es, was wir als Teil eines größeren chinesischen Überwachungsballonprogramms bewerten“, sagte der Sprecher des US-Verteidigungsministeriums. Allein über Taiwan sollen in den vergangenen Jahren Dutzende chinesische Militärballons gesichtet worden sein. „Sie kommen sehr häufig, zuletzt vor ein paar Wochen“, sagte ein ranghoher taiwanischer Beamter der Financial Times. Solche Übergriffe würden im Durchschnitt einmal im Monat stattfinden. Und auch aus Japan kommen nun ähnliche Berichte.

Die weite Streuung der Ballon-Sichtungen hat mit der Grundidee des Programms zu tun, von hohen Atmosphärenschichten aus die strategischen Rivalen im Blick zu behalten. „Chinas Ballon-Programm mit seinen 200 Höhenballons hat eine globale Mission“, sagt Carl Schuster. „Allerdings scheint die Priorität auf Gebiete und Regionen gerichtet zu sein, in denen strategische Ziele oder weltraumnahe Transitrouten zu diesen Zielen liegen.“

Auch Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg zeigte sich zuletzt besorgt. „Wir sehen, dass China in den vergangenen Jahren stark in neue militärische Fähigkeiten investiert hat, einschließlich verschiedener Arten von Überwachungs- und Geheimdienstplattformen.“ Auf die Frage, ob chinesische Ballons auch über Europa entdeckt wurden, sagte er: „Auch wir haben verstärkte chinesische Geheimdienstaktivitäten in Europa gesehen – auf verschiedenen Plattformen. Sie benutzen Satelliten, sie nutzen Cyber und, wie wir in den Vereinigten Staaten gesehen haben, auch Ballons.“

Chinas Spionageballons: Startplätze in der Inneren Mongolei und auf Hainan

Forscher des Middlebury Institute of International Studies (MIIS) im amerikanischen Vermont haben auf Satellitenbildern mindestens zwei chinesische Militärbasen ausfindig gemacht, von denen die chinesischen Ballons offenbar starten. Erstens die Dorbod Banner Anlage nahe der Grenze zur Mongolei. Mitte 2016 gebaut, verfügt sie über eine Startrampe von 350 bis 400 Metern, erklärt Sam Lair im Magazin Rolling Stone.

Und zweitens eine Anlage auf der südchinesischen Insel Hainan. „Die gesamte Anlage ist von einem Sicherheitszaun umgeben und umfasst auch drei große Radarkuppelgebäude, in denen Radarantennen untergebracht sind“, erklärt Lair. Satellitenbilder von Mitte Januar zeigten zudem eine 140 Meter lange Startrampe samt Startausrüstung. Die US-Behörden sind überzeugt: Der inzwischen abgeschossene Ballon soll Mitte Januar von Hainan aus gestartet sein.

Dieser Text erschien am 16. Februar 2023 im China.Table Professional Briefing – im Zuge einer Kooperation steht es nun auch den Lesern der IPPEN.MEDIA-Portale zur Verfügung.

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