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Alternative zum Westen: So sieht Chinas Plan für eine neue Weltordnung aus

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Von: Christiane Kühl

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Chinas Staatschef Xi Jinping schreitet im Mao-Anzug eine Ehrengarde auf dem Flugzeugträger Shandong ab.
Sicherheits-Initiative für eine neue Weltordnung: Chinas Xi Jinping 2021 auf dem Flugzeugträger Shandong. © Li Gang/Imago

Chinas entwirft eine neue Weltordnung, in der die Sicherheit von Staaten nicht mehr auf dem Recht des Stärkeren beruhen soll. Im Westen verfängt die Idee nicht, im globalen Süden schon.

Peking/Frankfurt – Chinas Diplomatie läuft dieser Tage auf Hochtouren. Chefdiplomat Wang Yi tourte durch Europa und kündigte auf der Münchner Sicherheitskonferenz eine Friedensinitiative für die Ukraine an – die er am Ende seiner Reise am Mittwoch allerdings zunächst den Freunden in Moskau vorstellte. Parallel stellte Peking diese Woche ein Konzeptpapier seiner sogenannten „Globalen Sicherheitsinitiative“ (GSI) vor. Staatschef Xi Jinping hatte sie im April 2022 erstmals präsentiert; es geht ihm darum, angeführt von China neue Spielregeln für Sicherheit in der Welt zu schaffen. Vor allem bei Schwellenländern und im globalen Süden will Peking die GSI puschen – in Ländern also, die durchaus offen sind für eine Abkehr von der aktuellen, westlich dominierten Weltordnung.

Konkrete Details sind bisher Mangelware. Doch das Papier nennt zumindest ein paar Eckpunkte: Die GSI stehe für ein globales Mehrheitsprinzip statt hegemonialer Alleingänge, heißt es darin. Eigene Sicherheitsinteressen dürften nicht auf Kosten anderer Staaten durchgesetzt werden, die territoriale Integrität aller Länder müsse gewahrt werden. Dialog und Verhandlungen hätten Vorrang vor Sanktionen oder Krieg. Dass ausgerechnet Chinas Partner Russland im Ukraine-Krieg derzeit gegen sämtliche dieser Vorgaben verstößt, scheint die Autoren dabei nicht zu stören. Es ist eine Methode, sich gegen die USA zu wehren, die seit dem Zweiten Weltkrieg zuweilen ebenfalls lax mit manchen dieser Prinzipien umgegangen sind. Das ist es, was für Peking zählt.

Noch ist unklar, wer sich Xis GSI anschließen wird. In vielen Ländern des globalen Südens sind Europa und die USA als ehemalige Kolonialmächte unbeliebt. Dass der Westen Entwicklungshilfe und Kredite an demokratische Standards knüpft, stößt so manchem Regierungschef sauer auf. China ist da weniger zimperlich; seine Entwicklungshilfe ist eher strategisch ausgerichtet.

Große demokratische Schwellenländer im Einklang mit China

Doch es sind nicht nur Diktaturen, die China gegenüber offen sind. Zuletzt äußerten sich auch Demokratien wie Indien, Südafrika oder Brasilien überraschend ähnlich wie die Volksrepublik, auch im Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg. Alle drei sind Mitglied der BRICS-Gruppe großer Schwellenländer, zu der auch China und Russland gehören. Brasiliens Präsident Luiz Inácio Lula da Silva hatte kürzlich an China appelliert, im Ukraine-Krieg als Vermittler zu agieren. Brasilia dürfte also grundsätzlich offen sein gegenüber der von Wang Yi angekündigten Friedensinitiative. Lula wird Ende März in Peking erwartet und dort Xi treffen.

Indien und Südafrika enthielten sich am Donnerstag in der UN-Vollversammlung bei der Abstimmung über die neue Resolution, die mit großer Mehrheit Russlands Angriff auf die Ukraine verurteilte und einen vollständigen Abzug der Moskauer Truppen forderte. Lulas Brasilien. und fast alle Länder Lateinamerikas stimmten ihr allerdings zu. Dass die Zustimmung mit 141 Ja-Stimmen genauso hoch ist wie kurz nach Kriegsbeginn, gilt im Westen als großer Erfolg.

Umso irritirerender ist die neutrale Haltung mancher Demokratien. Südafrika hält gerade ein zehntägiges Manöver mit China und Russland ab. Das gleiche Manöver fand 2019 statt, das aktuelle war lange geplant. Doch es ist bezeichnend, dass Pretoria keinen Anlass zu sehen schien, es aufgrund des Krieges abzublasen – noch dazu genau zum Zeitpunkt des symbolträchtigen Jahrestages. Beobachtende sehen Südafrika bereits in den Orbit Russlands driften, schrieb kürzlich das britische Magazin Economist.

Indien hat zwar eine ähnlich neutrale Haltung im Ukraine-Krieg. Neu-Delhis Verhältnis zu Peking ist allerdings angespannt. Die Regierung wirft China regelmäßige Provokationen entlang der gemeinsamen Grenze vor und ist Mitglied der US-geführten Viererallianz Quad mit Japan und Australien. Doch auch abseits der BRICS, etwa unter den Golfstaaten oder in Afrika, wirbt China bereits für die GSI und seine Sicht auf die Welt. „Afrika ist zu einer Arena für den Wettbewerb zwischen den Weltmächten geworden“, sagte kürzlich Jakkie Cilliers vom Institut für Sicherheitsstudien (ISS) in Südafrika. „Es handelt sich um ein gewaltiges diplomatisches Spiel“.

Xi Jinping machte Sicherheit zum wichtigsten Thema

Die GSI kommt indes nicht aus dem luftleeren Raum. Unter Xi Jinping durchdringt das Thema nationale Sicherheit nun erstmals sämtliche Politikfelder Chinas. „In den vergangenen zehn Jahren hat Xi Jinping die nationale Sicherheit zum Schlüsselthema gemacht“, schrieben die Merics-Forscherinnen Katja Drinhausen und Helena Legarda kürzlich in einer Studie. Schon 2013 gründete Xi, gerade im Amt, eine Nationale Sicherheitskommission nach Vorbild des Nationalen Sicherheitsrats der USA. 2014 stellte Xi sein Konzept zur „Umfassenden Nationalen Sicherheit“ vor. Es folgte eine Fülle von Gesetzen, etwa zur Abwehr von Cyberangriffen, Sanktionen des Auslands oder Spionage, sowie Gesetze zur Datensicherheit, zum Umgang mit ausländischen NGOs – und schließlich 2020 das berüchtigte Nationale Sicherheitsgesetz für Hongkong. Dieses beendete dort faktisch die freie Gesellschaft. 

„Das Markenzeichen der Xi-Ära ist eine wirkungsstarke Mischung aus Selbstbewusstsein und Paranoia der Partei,
wenn es um die nationale Sicherheit geht“, schreiben Drinhausen und Legarda. Einerseits treiben die chinesische Führung demnach Sorgen um, dass interne und externe Kräfte ihre Machtposition untergraben könnten. Zugleich sei sie überzeugt, dass Chinas politisches System stabiler und anderen überlegen ist.

China verpackt neue Sicherheits-Strategie GSI in wohlklingende Worte

Die GSI sei ein „klarer Versuch“, Pekings staatszentriertes Sicherheitskonzept in der Welt durchzusetzen, urteilen Drinhausen und Legarda. „China ist weder willens noch in der Lage, die USA als globaler Sicherheitsgarant zu ersetzen. Aber Pekings Fähigkeit, seine politischen Ansätze zu fördern, indem es sein wirtschaftliches Gewicht und seine globale Unzufriedenheit mit dem Westen ausnutzt, sollte nicht unterschätzt werden.“ 

Russland habe seine feste Unterstützung für die GSI bekundet, sagte Außenamtssprecher Wang Wenbin am Donnerstag in Peking. „Bislang haben mehr als 80 Länder und regionale Organisationen den GSI gelobt und ihre Unterstützung zum Ausdruck gebracht. Wir sind davon überzeugt, dass sich weitere Länder China bei der GSI anschließen und einen Beitrag zur Sicherung des Weltfriedens und der Ruhe leisten werden.“ Ein Regierungssprecher kündigte GSI-Veranstaltungen in Peking an, um die Ideen in die Praxis umzusetzen. Dabei wird sich dann zeigen, wer dem Ruf aus Peking folgt.

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