„Alle Mittel der Notwehr einsetzen“

Putins Separatisten setzen vier Blitz-Referenden an – Hat Medwedew das Kalkül schon erklärt?

+
Aufnahme vom 16. August: Der russische Ex-Präsident Dmitri Medwedew und Vize-Verteidigungsminister Pawel Popow.
  • schließen

Befürchtungen einiger Beobachter bewahrheiten sich: Russlands Separatisten und Besatzer in Luhansk, Donezk und Cherson haben Beitritts-Referenden angesetzt.

Luhansk - Die Separatistenführungen in den ostukrainischen Regionen Luhansk und Donezk haben inmitten des Ukraine-Kriegs umstrittene Referenden für den Beitritt zu Russland angesetzt. Praktisch zeitgleich drangen am Dienstagnachmittag (20. September) entsprechende Mitteilungen aus den beiden Gebieten an die Öffentlichkeit.

Wenig später folgten auch die Besatzer in der umkämpften südukrainischen Region Cherson. Und auch die prorussischen Behörden der besetzten Region Saporischschja kündigten eine Annexions-Abstimmung an. Damit stehen in vier Regionen Referenden an – und das schon in wenigen Tagen.

Die Abstimmung werde vom 23. bis 27. September abgehalten, sagte der Chef des Luhansker Separatistenparlaments, Denis Miroschnitschenko, am Dienstag der Nachrichtenagentur Interfax zufolge. Start soll also bereits am Freitag sein. Für dieselbe Zeitspanne kündigten auch die „Volksversammlung“ in Donezk und die Besatzungsverwaltungen in Cherson und Saparoischschja eine entsprechende Befragung an.

Ukraine-Krieg: Separatisten-Referenden kommen – Medwedew lieferte schon vorab eine Deutungsoption

Kurz zuvor hatte Kreml-Politiker Dmitri Medwedew Spekulationen über solche Referenden befeuert. In einem Telegram-Beitrag stellte er strategische Vorteile eines Beitritts der umkämpften Regionen zu Russland in den Fokus: „Das Eindringen in russisches Gebiet stellt ein Verbrechen dar“, schrieb Medwedew am Dienstag in Online-Netzwerken. Zur Selbstverteidigung könnte Moskau „alle Mittel der Notwehr einsetzen“, hob der heutige stellvertretende Vorsitzende des russischen Nationalen Sicherheitsrats hervor.

Skeptischer äußerte sich noch vor Ankündigung der Referenden der US-Think-Thank „Institute for the Study of War“: Das Vorgehen des Kreml bei der von Russland annektierten Krim zeige bereits jetzt: Ukrainische Rückeroberungsversuche führten nicht zwingend zu russischen Vergeltungsschlägen gegen die Nato, heißt es im jüngsten Lagebericht der Denkfabrik. Aus Russland waren zuletzt wieder vermehrt Warnungen vor Atomschlägen gedrungen.

Ukraine-Krieg: Annexions-Referenden im Donbass – Russland reagiert schnell

Medwedew hatte mit seinen Äußerungen allerdings die Pläne nicht auf die Agenda gesetzt, sondern ganz offensichtlich auf laufende Planungen der Separatisten reagiert. Denis Puschilin, einer der bekannten Separatistenvertreter im Donbass, erklärte, dass die separatistischen „Republiken“ Donezk und Luhansk seit Montagabend „aktiv“ an einem Referendum über den Beitritt zu Russland arbeiteten.

Aufgrund der Gegenoffensive ukrainischer Streitkräfte im Nordosten und Süden der Ukraine, wo die Ukrainer große Gebiete zurückerobern konnten, wuchs zuletzt die Sorge der Besatzer. Auch kurz vor Beginn des russischen Angriffskrieges hatten die Separatisten mit dem Ruf nach Unterstützung Wladimir Putin ein willkommenes Stichwort geliefert. Moskau scheint auch diesmal vorbereitet: „Wenn die Einwohner des Donbass sich frei äußern, um Teil Russlands zu sein, werden wir sie unterstützen“, erklärte der Präsident des russischen Unterhauses, Wjatscheslaw Wolodin, am Dienstag.

Russland im Ukraine-Krieg: Medwedew verweist auf „historische Gerechtigkeit“ – was passiert mit Cherson?

Medwedew hatte gleichwohl auch umfassendere Kreml-Narrative im Blick. Die Referenden im Donbass seien nötig, um „die historische Gerechtigkeit“ wieder herzustellen, betonte er. Die Ukraine reagierte gelassen. „Weder die Pseudoreferenden noch die hybride Mobilmachung werden etwas ändern“, schrieb Außenminister Dmytro Kuleba am Dienstag beim Kurznachrichtendienst Twitter. Die Ukraine werde weiter ihr Gebiet befreien, egal, was in Russland gesagt werde.

Die Besatzungsverwaltung der strategisch wichtigen Region Cherson hatte noch am 5. September erklärt, sie würde ihr Referendum aufgrund der aktuellen Ereignisse „aussetzen“. (AFP/fn/dpa)

Auch interessant: Was, wenn Putin verliert? So schätzen Experten die Atomschlag-Gefahr ein

Zurück zur Übersicht: Politik

Mehr zum Thema

Kommentare