Widerstand aus Deutschland

EU will offenbar Schuldenregeln lockern

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Olli Rehn bestätigte, dass die EU darüber nachdenkt, öffentliche Investitionen auf das Staatsdefizit anzurechnen.

Brüssel - In der Krise verabschiedet sich die EU vom strikten Sparkurs. Um den Staaten Luft zu verschaffen, will Brüssel die Schuldenregeln offenbar etwas lockern. Deutschland ist strikt dagegen.

Angesichts der Wirtschaftskrise in vielen europäischen Ländern will die EU-Kommission offenbar die vereinbarten Schuldenregeln lockern. Die Brüsseler Behörde wolle in Zukunft öffentliche Investitionen bei den Staatsdefiziten teilweise anrechnen, berichtet das „Handelsblatt“ (Montag) und beruft sich auf Regierungskreise. Dadurch bekämen die Länder mehr Spielraum, um ihre mittelfristigen Haushaltsziele zu erreichen. Das Vorhaben stößt auf Ablehnung in Deutschland und bei der Europäischen Zentralbank (EZB).

Die EU-Kommission bestätigte am Montag in Brüssel, dass sie an einer Mitteilung über die mittelfristige Finanzplanung arbeite. „In diesem Kontext werden wir die Frage angehen, wie man öffentliche Investitionen, die die staatlichen Finanzen nachweisbar tragfähiger machen, berücksichtigen kann“, sagte der Sprecher von EU-Währungskommissar Olli Rehn. Die Arbeiten daran würden noch einigen Wochen dauern, der Vorschlag solle bis zum nächsten EU-Gipfel Ende Juni vorliegen. Zu inhaltlichen Details wollte der Sprecher keine Stellung nehmen.

Europas Regierung: Das sind die EU-Kommissare

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Konkret geht es dabei um die Kofinanzierung von EU-Strukturfondsprojekten. Bei einer Förderung durch die EU müssen die Staaten einen Teil der Kosten selbst tragen, meist die Hälfte. Einige südeuropäische Ländern, etwa Italien, fordern schon lange, dass solche Mittel auf das Defizit angerechnet werden. In Brüssel wurde betont, dass es nicht um Zugeständnisse bei laufenden Defizitverfahren gehe, sondern nur um die Anrechnung beim mittelfristigen Defizitziel. Staaten müssten nach wie vor ein Haushaltsdefizit von mehr als drei Prozent abbauen.

Die Bundesregierung lehnt das Vorhaben ab. Der haushaltspolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Norbert Barthle, warnte: Nach den kritischen Äußerungen von EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso zum Sparkurs in Europa „wäre dies das nächste fatale Signal in der Staatsschuldenkrise (...) Einer Aufweichung der Schuldenregeln stimmen wir nicht zu.“ Um verloren gegangenes Vertrauen zurück zu gewinnen, seien eine strikte Haushaltsdisziplin, konsequente Defizitverfahren und ein harter Stabilitäts- und Wachstumspakt nötig. Die Bundesregierung fürchtet weitere Forderungen, andere öffentliche Ausgaben - etwa Wachstumsprogramme - anzurechnen. Berlin ist laut Zeitung in der Frage aber isoliert.

Die wichtigsten Organe der EU

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Die Europäische Union ist ein aus 28 europäischen Staaten bestehender Staatenverbund. Dessen Bevölkerung umfasst derzeit rund 505 Millionen Einwohner. Innerhalb der EU bilden 18 Staaten die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion - von den neu beigetretenen Ländern nehmen bisher Slowenien, Malta, Zypern, die Slowakei, Estland und Lettland daran teil. Der Europäische Binnenmarkt ist der am Bruttoinlandsprodukt gemessen, größte gemeinsame Markt der Welt. © dpa
José Manuel Barroso ist Präsident der Europäischen Kommission. Diese nimmt vor allem Aufgaben der Exekutive (ausführende Gewalt) wahr und entspricht damit ungefähr der Regierung in einem nationalstaatlichen System. Jedoch hat die Kommission noch weitere Funktionen, insbesondere besitzt sie das alleinige Initiativrecht für die EU-Rechtsetzung. Die Mitglieder der Kommission heißen Kommissare und werden von den einzelnen EU-Staaten entsandt. © dpa
Das Richtergremium, das im Gerichtshof der Europäischen Union für Menschenrechte erstmals im Februar 1959 in Straßburg zusammentrat, arbeitet unermüdlich daran, Folteropfer zu entschädigen, juristisches Unrecht geradezurücken oder die Meinungs- und Versammlungsfreiheit vor Angriffen zu schützen. © dpa
Das europäische Parlament mit Sitz in Straßburg ist das einzig direkt gewählte Organ der Europäischen Union. Es wird daher auch Bürgerkammer genannt. Zu seinem Kompetenzbereich gehören Gesetzgebungs- und Haushaltsbefugnisse. Die Mitglieder heißen EU-Abgeordnete. © dpa
Der Europäische Rat ist das Gremium der Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union. Er dient als übergeordnete Institution dazu, die entscheidenden Kompromisse zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten zu finden und Impulse für die weitere Entwicklung der Union zu setzen. Der Rat repräsentiert die Regierungen der Mitgliederstaaten. © dpa
Die Hauptaufgabe des Europäischen Rechnungshofs besteht darin, einen Bericht über die Verwendung der Mittel der Europäischen Union vorzulegen. Der Bericht wird mit Stellungnahmen der Organe im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht. © dpa
Eine Zentralbank ist eine Institution, die für die Überwachung des Bankensystems und die Regulierung der Geldmenge in einer Volkswirtschaft zuständig ist. Im Euro-Raum übernimmt die Europäische Zentralbank (EZB) diese Aufgaben. Hauptziel ist die Preisniveaustabilität des Euro. © dpa
Der Rat der Europäischen Union übt zusammen mit dem Europäischen Parlament die Rechtsetzung der Europäischen Union aus. Die Regierungen koordinieren dabei in den verschiedenen Politikbereichen. © dpa

Auch die FDP ist strikt dagegen. In einem Beschluss, den das Parteipräsidium am Montag in Berlin verabschiedete, heißt es: „Ein Aufweichen oder Abweichen von Regeln kommt für die FDP nicht in Frage.“ Dazu zählte FDP-Spitzenkandidat Rainer Brüderle auch Ausnahmeregelungen für einzelne Staaten durch sogenannte Investitionsklauseln, über die gerade diskutiert wird. Die Bundesregierung müsse solchen Tendenzen von Anfang an widerstehen.

Kritik kam auch von der Europäischen Zentralbank. EZB-Direktoriumsmitglied Jörg Asmussen warnte am Montag auf einer Veranstaltung der IHK Berlin, man dürfe den Stabilitätspakt nicht aufweichen.

Die Staats- und Regierungschefs hatten bei ihrem Dezember-Gipfel vereinbart, dass „die Möglichkeiten, die der bestehende haushaltspolitische Rahmen der Union bietet, um den Bedarf an produktiven öffentlichen Investitionen mit den Zielen der Haushaltsdisziplin in Einklang zu bringen, (...) in vollem Umfang genutzt werden“ können. Auf diesen Passus könnte sich die EU-Kommission nun bei ihrem Plan berufen.

dpa

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